Seit Heraklit ist der Fluss Sinnbild der Identitätsfrage par excellence ...
Claudio Magris in „Die Donau“

Vielleicht mag es etwas ungewöhnlich erscheinen, wenn eine Buchhandlung auf ihrer Webseite der Donau eine eigene Rubrik widmet. Wer sich aber in unserem Haus ein wenig umsieht, merkt sehr schnell, dass wir, und vor allem der Buchhändler, ein großes Faible für diesen Strom haben. Kein Roman der entlang der Donau auf Deutsch erscheint, der nicht in unseren Regalen einen Platz bekommen würde. Jeder Verlagsvertreter, der unser Haus besucht, ist glücklich, wenn er uns ein neues Donaubuch vorstellen kann, denn er kann sich sicher sein, dass die Bestellzahl nicht klein ausfallen wird. Seit vielen Jahren engagieren wir uns auch für das Ulmer Donaufest und versuchen unseren Teil mit einem Literaturprogramm dazu beizutragen. Mit der Europäischen Donauakademie und dem Donauschwäbischen Zentralmuseum versuchen wir mit der Organisation von Lesungen und Vorträgen und der Vermittlung von Autoren einen kleinen Beitrag zu Verständigung der Donauanrainerstaaten zu leisten. Wenn auch manche Staaten entlang der Donau in ihrer politischen Entwicklung manchmal den Eindruck erwecken, dass sie nach dem Prinzip „drei Schritte vor und zwei zurück“ vorgehen, so ist es für das Haus Europa doch ein Glücksfall, dass die Integration der Donauanrainerstaaten fast reibungslos verlief. Und was für eine Bereicherung bedeuten diese Länder mit ihrer Kultur und deren wunderbarer Landschaft, die es zu entdecken gilt. Keine Angst, ich werde nicht wie Josef Roth an seinem Lebensende wieder die Habsburger Monarchie zurückwünschen. Diese Seite soll dem einzigen europäischen Strom der in West-Ost-Richtung fließt gewidmet sein, ebenso wie dessen Anwohner, deren unterschiedliche Kulturen unser gemeinsames Europa so reich machen. Natürlich werden auf dieser Seite auch Buchbesprechungen einen Platz finden; genauso möchten wir aber auf Veranstaltungen hinweisen und auch vom einen oder anderen Donau-Fundstück berichten.


"Brigach und Breg bringen die Donau zu Weg"

Czernowitz – Mythos einer Stadt
Viele Geschichten ranken sich um die Stadt, die heute zur Ukraine gehört und während der Habsburgerzeit vielleicht die weit entfernteste Metropole der Donaumonarchie war. Die Geburtsstadt von Rose Ausländer und Paul Celan hat über all die Jahre nichts von Ihrer Magie verloren. Trotz des Krieges, der auch im Südwesten der Ukraine, der ehemaligen Bukowina, angekommen ist. Das Interesse an Czernowitz lässt sich auch daran erkennen, dass in diesem Jahr gleich mehrere Bücher erschienen sind über diese Stadt, in der die „Literatur zu Hause war“.
Eines davon ist der „Tango von Czernowitz“, ein Roman von Oleg Serebrian. Der Autor war bis 2022 Botschafter der Republik Moldau in Berlin. Er hat Geschichte und Politikwissenschaften studiert und führt uns mit seinem Roman in das Jahr 1944 zurück. Eines der Schicksalsjahre der Stadt, die während des Zweiten Weltkriegs gleich mehrfach ihre Nationalität wechseln musste. Während die russische Armee auf dem Vormarsch ist, denkt das Ehepaar Skawronski über eine Flucht nach. In dem Roman teilt das Liebespaar das Schicksal so vieler Einwohner der Stadt und der Bukowina, die den Leidensweg des Exodus gehen mussten. Der Roman verwebt das Leben der Menschen mit den historischen Ereignissen, der Leidensgeschichte jener Stadt, die lange Zeit in christlich-jüdischer Symbiose lebte.

Oleg Serebrian
„Tango in Czernovitz“
Lesung

Donnerstag, 5. Oktober, 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm
5,-- Euro

Oleg Serebrian
„Tango in Czernovitz“

404 Seiten
Morio Verlag
30,00 Euro


Schöne, blaue Donau
Ein Flussgigant der Donau, der Hausen oder Stör, der uralt und riesig werden kann, erklärt uns den großen europäischen Strom. Der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky und die Illustratorin Simona Smatana bringen uns die „Donau“ als magischen Fluss näher. Mit frischen Farben und großen Flächen geht es stromabwärts von den Quellen bis zur Mündung ins Schwarze Meer. Vieles weiß der Hausen zu erzählen, obwohl er heutzutage durch die vielen Wehre gar nicht mehr so weit schwimmen kann. Viele Geschichten kennt der Fisch und nicht nur das, er blickt zurück bis zu den Römern, beschreibt die 10 Länder, durch die die Donau fließt und auch alles, was an der Donau so kreucht und fleucht.
Sorgen bereitet ihm aber der Mensch, der die Donau in neue Ufer zwängt und nach wie vor seine Abwässer einleitet. „Wasser ist Leben. Sich um den Fluss zu kümmern, heißt sich um einen ganzen Landstrich und seine Menschen zu kümmern. Wir sollten ihn gemeinsam kennenlernen und schützen, damit er nicht nur eine Geschichte bleibt, die ein alter Hausen erzählt.“
Thomas Mahr

Michal Hvorecky
„Donau“ – Ein magischer Fluss

Illustration von Simona Smatana
32 Seiten
6 - 99 Jahren
Achse Verlag
22,- Euro

Foto: ©Achim Bunz

Lehrreich und unterhaltsam
Eine Geschichtsstunde im DZM
Gerne hätte ich mit Monika Czernin noch weitergeplaudert. Denn sie erzählte so viele interessante Episoden aus dem Leben des aufgeklärten Kaisers Joseph II. Man merkte Ihr an, wie viel historische Recherche, aber auch Herzblut in dieser Biografie steckt, die sie jenem Habsburger Herrscher widmet, dessen Leistungen in der Geschichtsschreibung viel zu wenig gewürdigt werden. Vielleicht war der Schatten seiner Mutter Maria Theresia doch zu mächtig, um zu erkennen, wie klug und vorrausschauend ihr Sohn war.
Es ist spannend und unterhaltend, wie die österreichische Autorin von den Reisen des Kaiser erzählt und welche Erkenntnisse er daraus gezogen hat, ist er doch inkognito unterwegs gewesen. Wen wundert es da, dass Monika Czernin für ihr Buch den Bad Wurzacher Friedrich-Schiedel-Literaturpreis 2023 erhält, der für die besondere und gute Vermittlung historischer Inhalte vergeben wird.

Monika Czernin
„Der Kaiser reist inkognito“

Donnerstag, 20. April, 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

Monika Czernin
„Der Kaiser reist inkognito“

384 Seiten
Penguin Verlag München
22,- Euro

Immer wieder gerne kooperieren wir mit dem Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm.
Nach längerer Pause, Corona war auch hier ein Verhinderer, freuten wir uns umso mehr, nun erneut mit einem sehr interessanten Autor, einem wunderbaren Plauderer über die Donau, aufwarten zu können. Nur zu gerne ließ man sich an diesem Abend von Alexander Kluy mit an Bord nehmen, begleitet ihn auf seiner Donaukreuzfahrt. Kurioses, Melancholisches, Facettenreiches, ein wahres Kaleidoskop die Donau entlang. Für den Klang und die Farben entlang dieses so mächtigen europäischen Stroms sorgte Peter Gerter am Bajan, ein virtuoser Meister, nicht nur an diesem Instrument. Herzlichen Dank für diese unvergleichliche Donaureise!

Alexander Kluy
„Vom Klang der Donau“
Lesung mit Musik
am Akkordeon Peter Gerter

Donnerstag, 16. März, 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

Alexander Kluy
„Vom Klang der Donau“

224 Seiten, 90 Farbfotos
marixverlag
29,90 Euro

Flussläufe
Es herrscht Niedrigwasser an fast allen Flüssen in Europa, die Schifffahrt droht zum Erliegen zu kommen und es tauchen verborgene Dinge auf an neuen Ufern, die so noch nie gesehen wurden. Für alle, die Flüsse so lieben wie ich, die neugierig sind, hier ein paar Buchempfehlungen, die uns diese fließenden Wasser näherbringen.


Der historische Blick
Laurence C. Smith zeigt in seinem neuen, ausgezeichneten Buch, wie mächtige Ströme Reiche erschufen, aber auch alte Kulturen zum Einsturz brachten und letztendlich überhaupt erst Zivilisation ermöglichten. Der Geowissenschaftler erzählt von Grenzflüssen aber auch Flüssen, die Grenzen überwinden. Bei der Lektüre des Buches wird mehr und mehr klar, welche Bedeutung diese Ströme bei der Entstehung von großen Kulturen entlang dieser besitzen und dies durch alle Zeiten hindurch. Heute unterstreichen auch Klimawandel und Wasserknappheit den großen Stellenwert von Fließgewässern. Von den vielen im Buch erwähnten Flüssen gilt es den Nil und den Rhein hervorzuheben.

Laurence C. Smith
„Weltgeschichte der Flüsse“

448 Seiten
Siedler Verlag
26,- Euro


Donauwunder
Mein Schicksalsfluss ist die Donau, und das für mich nach wie vor wichtigste Buch für die Entdeckung des großen Stromes, der durch zehn europäische Länder fließt, ist das Buch von Claudio Magris. Es ist noch vor dem Schicksalsjahr 1989, als der Eiserne Vorhang fiel, erschienen. Der italienische Germanistikprofessor war unterwegs von der Quelle bis zur Mündung und erkannte die grenzüberschreitende Macht der Donau. In seinen Beobachtungen erkannte er die vielen Gemeinsamkeiten der Mensch am Strom und auch die Strahlkraft des Habsburger Reiches, die auch nach all den Schrecken des 20. Jahrhunderts noch immer spürbar ist. Ein vereintes Europa - unendlich groß - wie die Erzählkraft des Professors aus Triest.

Claudio Magris
„Donau“

Biographie eines Flusses
484 Seiten
Paul Zsolnay Verlag
28,- Euro


Die Donau im 19. Jahrhundert
Edit Kiraly, Dozentin am Germanistischen Institut in Budapest, hat in unermüdlicher wissenschaftlicher Recherchearbeit ein Buch geschrieben, das sich sicherlich unter den Preziosen der Donauliteratur einreihen darf. Dass sich solch ein Buch hinter dem Titel „Die Donau ist die Form“ versteckt, ist verwunderlich. Wen wundert es, dass der „majestätisch“ dahinfließende Fluss der Namensgeber zur Habsburgern Donaumonarchie wurde. Das 19. Jahrhundert hat in seinen Diskursen zum einen die imperiale Größe begründet, verbunden mit der Donau, gleichzeitig, aber nationale Identitäten befeuert. Erstaunlich, welche Dokumente, welche Zeugnisse die Autorin ausgegraben hat und so manch neues Donaubild entstehen lässt.

Edit Kiràly
„Die Donau ist die Form“

438 Seiten
Böhlau Verlag
50,- Euro


Warum ist es am Rhein so schön
„Der Rhein ist der Fluss, von dem alle Welt redet und den niemand studiert, den alle Welt besucht und niemand kennt." Dies schrieb Victor Hugo 1854 und dies bestätigen die beiden Autoren Björn Kuhligk und Tom Schulz noch heute. Sie haben eine Rheinfahrt unternommen und natürlich all die zauberhaften Orte entlang des Stroms mit all den Touristenströmen wahrgenommen Es stimmt schon, all die Schönheiten der Landschaft und der Städte scheinen allseits bekannt. Doch wer sind die Menschen, die in diesen Regionen leben, wie ist der Alltag und was gibt es abseits der Sehenswürdigkeiten zu entdecken. Erstaunt stellt man fest, das ist eine ganze Menge, wenn man auf der „MS Regina“ von Düsseldorf bis Basel auf dem Rhein unterwegs ist.

Tom Schulz; Björn Kuhligk
„Rheinfahrt“

368 Seiten
Orell Füssli Verlag
25,- Euro


Die Elbe mit dem Rad entdecken
Kommen wir zu den Reiseberichten und unternehmen eine außergewöhnliche Entdeckungsreise durch die Natur, Kultur und Geschichte Deutschlands. Die Reisejournalistin Alexandra Schlüter nimmt uns mit auf ihrer Fahrt entlang der Elbe, die damit eine Sehnsuchtsreise wahr werden ließ und bei der sie Tag für Tag mehr und mehr ihre Heimat neu entdeckte. Sie radelt über mehrere Wochen flussaufwärts von Cuxhaven bis an die tschechische Grenze und sie entdeckte dabei einen der letzten über weite Strecken frei fließenden Fluss in Mitteleuropa. Trotz der geschichtsträchtigen Städte wie Hamburg oder Dresden, war es doch die unberührte Natur, die auf die Autorin solch eine Faszination ausübte. Der Leser kann dies selbst nachvollziehen, denn der Fotograf Manolo Ty ergänzt das Buch mit seinen wunderschönen Bildern.

Alexandra Schlüter
„Rad, Land, Fluss“

Eine Sehnsuchtsreise
Fotos: Manolo Ty
240 Seiten
Prestel Verlag
26,- Euro


Eine der reizvollsten Regionen Brandenburgs
Die in den letzten Wochen so traurig in die Schlagzeilen gekommene Oder, besser gesagt das Oderbruch, ist Thema des Reisejournalisten Bernd Siegmund, der uns in seinem Buch mitnimmt und in 8 Tagen eine Landschaft aufzeigt, die touristisch noch wenig erschlossen, viele Entdeckungen bereithält. Brandenburgs Osten hat neben seiner so unberührten Oderlandschaft vieles zu bieten für Kultur- und Geschichtsinteressiere. Es ist eine Reise bis an den östlichsten Rand dieses Bundeslandes. Unweit der Grenze zu Polen liegt das Oderbruch. Riesige Felder, stille Wiesen, durchzogen von Wassergräben, dazwischen ein paar niedrige Büsche, soweit das Auge reicht. Das frühere Sumpfgebiet ließ einst der Alte Fritz trockenlegen und von neuen Bewohnern besiedeln. Und ein Tipp vom Buchhändler - nicht vergessen den passenden Band „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ von Theodor Fontane ins Reisegepäck zu nehmen.

Bernd Siegmund
„Das Oderbruch entdecken“

Ausflüge in eine faszinierende Region
176 Seiten
edition q Verlag
18,- Euro


Trotz alledem – das Donaufest stand unter einem guten Stern
Das 12. Internationale Donaufest ist vorbei. Und es war ein Erfolg. Endlich trafen sich wieder Menschen aus allen Donauanrainerstaaten am Ulmer und Neu-Ulmer Ufer, der Markt der Donaustädte wurde bei schönstem Wetter so zu einem Sommermärchen. Auch unser Literaturprogramm war trotz steigender Coronazahlen gut besucht. Vor allem unsere Moldawienveranstaltung im Einsteinhaus über einen ganzen Sonntagnachmittag ging von Ausstellung zu Film und dann zur Lesung, war trotz Hitze, auch ein Publikumserfolg.
Die Absacker im Künstlerhaus standen im Zeichen des Krieges in der Ukraine. Es war ein sehr eindringliches Erlebnis die Texte, die ich ausgewählt habe, von Schauspielern vorgelesen zu bekommen. Musikalisch begleitet an der Klarinette kam uns die Ukraine als europäischer Nachbar näher. Den Abschluss des Literaturprogramm bildete dann eine Lesung zum Gedenken an György Konrad. Der ungarische Autor, der 2019 starb, war stark mit dem Donaufest verbunden, für das er eigens einen wunderbaren Text geschrieben hat. Die Schauspielerin Suzanne von Borsody las aus seinem Roman „Glück“.


Meine Einführung zur Lesung können sie hier lesen.

Liebe Grüße
Thomas



Ein wahres Fest der Literatur war der Auftritt von Iris Wolff im Donauschwäbischen Zentralmuseum. Leider durften nur 25 Zuhörer dies erleben. Die Warteliste war dementsprechend lang. Nicht umsonst war ihr neuer Roman für den Deutschen Buchpreis nominiert. Einen nicht unwesentlichen Anteil am Gelingen dieser Lesung hatte die Moderation von Eva-Maria Mahr. Klug führte sie durch die Diskussion über einen Roman der Poesie und Zeitgeschichte so wunderbar verknüpft. Der Blickwinkel ist entscheidend, der in der „Unschärfe der Welt“ zeigt, dass nichts so sein muss, wie es scheint. Mit einem bemerkenswerten Sprachgefühl erzählt die Autorin von einem Auswandererschicksal aus dem Banat, das fast schon exemplarisch die Zerrissenheit eines Menschen in unserer Zeit erzählt.

Iris Wolff
„Die Unschärfe der Welt“
Lesung

Donnerstag, 22. Oktober - 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

Iris Wolff
„Die Unschärfe der Welt“

Roman
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2020
216 Seiten
Klett-Cotta
20,- Euro

Habsburgs größter Orientalist
Solch einen außergewöhnlichen historischen Roman hätte man dem Kabarettisten und Fernsehmoderator Dirk Stermann nicht zugetraut. Historisch bestens recherchiert und doch unterhaltsam erzählt der Autor von Freiherr Joseph von Hammer-Purgstall, der als Diplomat und Orientalist tiefen Einblick gewann in das osmanische Reich. Im 18. Jahrhundert, als Wien noch eine stinkende und kleingeistige Stadt war, faszinierte ihn die Kultur des Orients. Sein Leben war so abenteuerlich und doch geprägt von der Wissenschaft. Immerhin regte Purgstall Goethe zu seinem West-Östlichen Diwan an. Stermann gelingt es, die Zeit um Napoleon und Metternich im Wechsel mit den Geschehnissen im Morgenland lebendig werden zu lassen.
Thomas Mahr

Daniel Mason
„Der Hammer“

448 Seiten
Rowohlt Verlag
24,- Euro

Jugoslawiens einziger Literaturnobelpreisträger
Wie kaum ein anderer hat sich Ivo Andrić mit Jugoslawien verbunden gefühlt. Kein Wunder, hat doch der in Kroatien geborene und in Bosnien aufgewachsene seinen späteren Lebensmittelpunkt in Belgrad gefunden. Der Journalist Michael Martens verstand es, in langjähriger und akribischer Recherche, das schillernde Leben dieses großartigen Schriftstellers nachzuzeichnen. Wahrlich eine Mammutaufgabe. Es ist ihm gelungen, Andrićs Leben in der Tragweite des Schreckens des vergangenen Jahrhunderts zu beschreiben: vom Attentat in Sarajevo, über die Diplomatenzeit in Berlins Hitlerdeutschland, bis hin zur inneren Emigration während des Krieges. In jener Zurückgezogenheit entstanden dann die großen Romane, von denen die „Brücke über die Drina“ zu den bedeutendsten zählt, die die Literatur auf dem Balkan vorweisen kann.

Wegen Corona abgesagt!

Michael Martens
„Im Brand der Welten“
Lesung und Gespräch

Donnerstag, 19. März 2020 - 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm
Eintritt 5.- Euro

Michael Martens
„Im Brand der Welten“

Ivo Andric - ein europäisches Leben
Biografie
496 Seiten
Paul Zsolnay Verlag
28,- Euro

Meister des dokumentarischen Erzählens
Wie kein anderer ist Martin Pollack in der Lage seine eigene Familiengeschichte so zu erzählen, dass sie Teil der großen Geschichte wird. Die Wurzeln seiner Eltern führen zurück in das heutige Slowenien, wo in Zeiten der Habsburgermonarchie Deutsche und Slaven einträchtig miteinander lebten; bis das Gift des Nationalismus diesen Frieden zerstörte. In seinem neuen Buch begibt sich der Historiker auf die Suche nach seiner Großtante Pauline. Die stille und zurückgezogene Frau war gänzlich frei von rassistischem Dünkel, die Nazi-Ideologie war ihr fremd. Dennoch wurde sie nach dem Krieg von jugoslawischen Partisanen verschleppt und endete, wie so viele, in einem Massengrab.

Wegen Corona abgesagt!

Martin Pollack
„Die Frau ohne Grab“
Lesung und Gespräch

Donnerstag, 2. April 2020 - 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm
Eintritt 5.- Euro

Martin Pollack
„Die Frau ohne Grab“

Bericht über meine Tante
184 Seiten
Paul Zsolnay Verlag
22,- Euro


„Die Unruhen kamen nicht ins Dorf. Ins Dorf kam nur die Angst.“ Mit präzisen, poetischen Sätzen wie diesem führte Nadine Schneider bei ihrer Lesung im Donauschwäbischen Zentralmuseum die zahlreich anwesenden Zuhörer auf literarischen Pfaden zurück in den Spätsommer des Jahres 1989, Eva-Maria Mahr führte durch den Abend. Es sind die titelgebenden „Drei Kilometer“ , die die Protagonisten eines banater Dorfes von der Grenze trennen. In einem Land, das unter der Terrorherrschaft Ceaușescus leidet, scheint die Antwort auf die Frage nach „Gehen oder Bleiben“ leicht über die Lippen zu kommen. Und doch ist das Lebensgefühl in erster Linie geprägt vom Warten, Zaudern und der Sorge um die, die zurückgelassen werden könnten. Ein herausragendes, erstaunliches Debüt!

Nadine Schneider
„Drei Kilometer“
Lesung und Gespräch
Moderation: Eva-Maria Mahr

Donnerstag, 13. Februar 2020 - 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

Nadine Schneider
„Drei Kilometer“

Roman
160 Seiten
Jung und Jung
20,- Euro



Die Donau im Ulmer Zelt
Die beiden Literaturwissenschaftlerinnen Edith Király (Budapest) und Olivia Spiridon haben sich mit viel Empathie und Recherchearbeit der Donau angenommen. Die daraus entstandene lesenswerte Anthologie muss unbedingt gefeiert werden und das in Ulm und möglichst nahe am Strom. Nun haben sich die Macher des Ulmer Zelts, sehr zu unserer Freude, entschlossen, diese schöne Aufgabe in die Hand zu nehmen. Der ungarische Geiger Tamás Füzesi vom Theater Ulm stellt für diesen Anlass ein Salonorchester auf die Beine. Natürlich werden auch die beiden Herausgeberinnen der Anthologie kommen und gemeinsam mit der deutsch-kroatischen Autorin Alida Bremer als Moderatorin ihren Donauenthusiasmus auf die Bühne bringen. Das besondere an diesem Buch ist, dass die Sammlung weder geografisch noch historisch geordnet ist. Sie haben sich Themen wie Stadtlandschaften, Hochwasser oder Inseln herausgesucht, um uns die Donau näher zu bringen. Besonders glücklich sind wir, dass der Schauspieler Miroslav Nemec den Geschichten seine Stimme leiht und für die Veranstaltung als Vorleser nach Ulm kommen wird.

„Der Fluss“
Eine Reise zur Donau
Ein musikalisch-literarischer Abend
mit einem Salonmusikensemble
mit Miroslav Nemec
und den beiden Herausgeberinnen
Edit Király und Olivia Spiridon
Moderation Alida Bremer

Freitag, 21. Juni - 20 Uhr
Ulmer Zelt Friedrichsau

Edith Kiraly, Olivia Spiridon
„Der Fluss“

Eine Donau-Anthologie der anderen Art
492 Seiten
Jung und Jung Verlag
26,- Euro

Arthur Schnitzler und der Untergang Habsburgs
Wenn Reiche untergehen, scheinen sie zumindest kulturell noch einmal aufzublühen, ähnlich einem Baum, der abstirbt, sich zuvor aber noch mit einer prächtiger „Angstblüte“ dagegen zur Wehr setzt. Arne Karsten zeichnet die letzten Jahre der kaiserlich-königlichen Monarchie nach, in dem er die Tagebuchaufzeichnungen von Arthur Schnitzler zu Hilfe nimmt. Exemplarisch für diese Zeit wird das kurze Leben der jugendlichen Freundin des Autors, Stephanie Bachrach, der Tochter eines jüdischen Bankiers. Nach dessen Bankrott und seinem Selbstmord bricht für die junge Frau die „Welt von gestern“ zusammen. Als sie als Krankenschwester die Grausamkeit des Ersten Weltkriegs sieht, verliert sie endgültig jeden Halt und begeht 1917 Selbstmord.

Karsten beschränkt sich in seinem Buch aber nicht nur auf die Demaskierung der Scheinheiligkeit und der Doppelmoral, die Schnitzler zum aufmerksamsten und genauen Chronisten seiner Zeit werden lässt, er greift auf eine Vielzahl weiterer Zeitzeugen zurück. So wird deutlich und wirkt doch überraschend, mit welcher Geschwindigkeit sich der Zerfallsprozess vollzogen hat; das Hineinschlittern in einen Krieg, der eigentlich, im dann ehemaligen Habsburgerreich, fast nur Verlierer zurückgelassen hat.
Thomas Mahr

Arne Karsten
„Der Untergang der Welt von gestern“

Wien und die k. u. k. Monarchie 1911-1919
269 Seiten
Beck Verlag
26,95 Euro





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Deutsche Wurzeln in Kroatien
Es ist doch erstaunlich, dass immer wieder neue Familiengeschichten aus dem Osten Europas in Romanform erscheinen, die ihren Ursprung in der Siedlungspolitik Maria Theresias finden. Und wieder einmal ist es die Donau, ist es Ulm, von wo aus der Urahn im Roman „Die Reparatur der Welt“ von Slobodan Šnajder nach „Transsilvanien“ auswandert. Zielort wird Slawonien, das heute in Kroatien liegt. Der historisch großartig angelegte Roman erzählt davon, wie der Nationalsozialismus die friedliche Koexistenz der Völker auf dem Balkan grausam beendete. Aber es war auch eine Zeit, in der es galt, Farbe zu bekennen. Der eingezogene Nachfahre der Kempf Familie desertiert an der Front und wird später die jugoslawische Partisanin Vera heiraten, da ihm die Sowjets attestieren, auf der richtigen Seite gestanden zu haben. Doch lassen sich Politik und Liebe voneinander trennen? Es ist ein schwerer Weg für die beiden, da sie doch aus so unterschiedlichen Welten kommen.

Slobodan Šnajder
„Die Reparatur der Welt“
Lesung

Donnerstag, 4. April - 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

Slobodan Šnajder
„Die Reparatur der Welt“

Roman
544 Seten
Zsolnay Verlag
26,- Euro


Spurensuche in einer längst verlorenen Heimat
Das Reisen gehört zu seinem Beruf als Journalist. Lange Jahre war Andreas Wunn als Korrespondent unterwegs. Heute leitet er die Redaktion des ZDF Morgen- und Mittagsmagazins. Er wusste, dass seine Mutter im Kindesalter als Banater Schwäbin aus dem ehemaligen Jugoslawien geflohen war; das war aber auch schon alles, was er über deren Vergangenheit jener Zeit in Erfahrung brachte.
Die Bilder von Flüchtlingen, die 2015 auf der Balkanroute unterwegs waren Richtung Westen, bildeten den Auslöser, dass sich die Mutter des Fernsehjournalisten endlich öffnete und von ihrer eigenen Flucht zu erzählen begann. Jahrzehntelang durfte ihre Flucht 1947 in der Familie nicht zum Thema gemacht werden. Nun, nachdem die Mutter bereit war, sich auf ihre Vergangenheit einzulassen, reist sie mit dem Sohn in entgegengesetzter Richtung zurück in ihre Kindheit, in das in Serbien gelegene Dorf, das damals Setschan hieß und heute an der rumänischen Grenze liegt. Anleitung für das Unternehmen war ein Zettel, in dem die Großmutter die Stationen der Flucht aufzeichnete. Andreas Wunn hat aus dieser Reise ein Buch gemacht, das stellvertretend das Leid so vieler Fluchtgeschichten nach dem Weltkrieg erzählt.

Andreas Wunn
„Mutters Flucht“
Lesung

Donnerstag, 28. März - 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

Andreas Wunn
„Mutters Flucht“

Auf den Spuren einer verlorenen Heimat
256 Seten
Ullstein Verlag
20,- Euro

Die Donau – ein Strom voller Geschichten
Mit diesem Buch ist es wie mit einer Schachtel edler Pralinen. Man kann sie gierig in kürzester Zeit essen oder den Genuss zelebrieren und in die Länge ziehen. Die Rede ist von der Anthologie „Der Fluss“ und damit kann, wer den Buchhändler Thomas Mahr kennt, nur die Donau gemeint sein.
Er ist der Ansicht, dass diese Sammlung, herausgegeben von den beiden Germanistinnen Edit Király und Olivia Spiridon, die schönste Liebeserklärung an den großen, länderverbindenden europäischen Strom ist und am besten in kleinen Dosen gelesen wird. So währt die Freude am längsten. Die Anthologie ist das gelungene Ergebnis eines universitätsübergreifenden Projekts, das sich unter dem Titel „Danubylon“ zu Wort meldet.
Für den Buchhändler bedeutet es gerade die Stärke des Buches, dass die Geschichten weder chronologisch noch geographisch eingeteilt sind. Die beiden Autorinnen haben ihre Anthologie nach Themen sortiert, wobei sie jedes Kapitel mit einem klugen und feinen Essay einleiten. So wird unter dem Kapitel „versunkene Insel“ mit Egon Erwin Kisch oder Mircea Cărtărescu der Mythos der sagenumwobenen Insel Ada Kaleh wieder lebendig, die in den 70er Jahren einem Staudammprojekt zum Opfer fiel, oder der Leser erfährt von einem dramatischen Liebesdrama, geschrieben von Arnolt Bronnen, das sich während des legendären Hochwassers 1954 in Oberösterreich abgespielt hat. Die Texte wechseln munter zwischen Tagebuchaufzeichnung, Romanauszug, Gedichten und Reiseberichten hin und her. Dadurch verstärken sie geradezu das Bild der kulturellen Vielfalt der Donau. Die Autorinnen sprechen von ihrem Buch daher von einer Donauanthologie der anderen Art. Zurecht, denn die Geschichten sprudeln wie Donauwasser manches Mal wild durcheinander, dann wieder in ruhigerem Fahrwasser wohlgeordnet und reflektiert. In einem großen Kapitel kommen Städtebilder zu Wort, es geht aber auch um die Auenwälder, um Brücken, Grenzen und die traurigen Kapitel von Krieg, Flucht und Vertreibung werden nicht ausgespart. Zum bibliophilen Ereignis wird die Anthologie durch die vielen Bilder, die die Texte begleiten und dabei selbst weitere Geschichten erzählen. Natürlich werden Donauenthusiasten Bekanntes wiederentdecken, doch das Buch ist auf seinen 490 Seiten eine so schillernde Donaufahrt, dass selbst der größte Donaukenner noch Neues entdecken wird.
Thomas Mahr

„Der Fluss“
Eine Donau-Anthologie der anderen Art
Herausgegeben von Edit Király und Olivia Spiridon
2018
492 Seiten
Jung und Jung Verlag
26,- Euro





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Ein erfolgreiches Donaufest
Mit dem 11. Internationalen Donaufest ist ein Festival zu Ende gegangen, das einen Besucherrekord verzeichnet. Dabei stand die Begegnung der Menschen aus allen Donauländern wieder im Vordergrund. Schön war das Internationale Jugendcamp als Begegnung junger Menschen unter dem Motto „Europa sind wir.“ Beim Musikwettbewerb stand dieses Mal die Klarinette im Mittelpunkt. In der Pauluskirche kam dann noch einmal die Jugend zu Wort, besser gesagt: zu Gehör. Vier Chöre aus verschiedenen Ländern führten zusammen mit dem Ulmer Philharmonischen Orchester die Friedensmesse „The Armed Man“ von Karl Jenkins auf.
Auch das Literaturprogramm, für das wir verantwortlichen zeichnen, war ein voller Erfolg. Das deutete sich gleich zu Beginn des Donaufestes schon an, als im vollen Stadthaus Katja Riemannn aus Stefan Zweigs Lebenserinnerungen „Die Welt von Gestern“ las. Ihr eindringlicher Vortrag unterstrich die Aktualität dieses Buches. Die Lesungen von Sofia Andruchowytsch und Bora Cosic waren im Donauschwäbischen Zentralmuseum gut besucht. Beide Lesungen führten hin zum Podiumsgespräch, welches das Kriegsende 1918 zum Thema hatte. Die spannende Diskussion brachte den interessierten Zuhörern neue Einblicke, die zeigten, dass durch die Friedensverhandlungen bereits neue Konflikte und Krisen entlang der Donau entstanden.
Bei den sechs Literarischen Absackern im Ulmer Künstlerhaus ging es um die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die Texte von Autoren aus den Donauländern wurden von Schauspielern des Theaters Ulm gelesen, musikalisch virtuos begleitet von der Cellistin Anne Schumacher. Die Auswahl der literarischen Ausschnitte unterstrich das Leid, das sich auch nach dem Krieg entlang der Donau fortsetzte.


Noémi Kiss
„Dürre Engel“

Roman
296 Seiten
Europa Verlag
22,- Euro

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Frausein in Ungarn
Drei Frauen saßen im Donauschwäbischen Zentralmuseum auf der Bühne, als es um eine ungarische Ehe am Ende der kommunistischen Ära ging. Noemi Kiss stellte ihren neuen Roman „Dürre Engel“ vor, Angelika Mahr moderierte die angeregte Diskussion und Ulrike Schulz übernahm den Part der Lesung. Das Buch, zugleich in einer sehr poetischen Sprache und doch so direkt und ungeschminkt geschrieben, zeigt wie eine Ehe aufgrund von Kinderlosigkeit vor die Hunde geht. Was mit einer großen Liebe begann, endet in Streit und Gewalt bis hin zum Mord im Affekt, den die Protagonistin begeht . Das hoch interessante Gesprächauf der Bühne entwickelte sich angeregt zu einer grundsätzlichen Diskussion über die Rolle der Frau in der ungarischen Gesellschaft, mehr noch, welchen Druck eine Partnerschaft durch gesellschaftliche Erwartungen auszuhalten hat.

Noémi Kiss
„Dürre Engel“
Lesung und Gespräch
Moderation Angelika Mahr


Donnerstag, 12. April, 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm
Gefördert von der Europäischen Donauakademie

Literatur trifft Museum
Gemeinsame Veranstaltungen unserer Buchhandlung
mit dem Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm
Erstes Halbjahr 2018

Viel Vergnügen beim Blättern!

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Serhij Zhadan
„Internat“

Roman
300 Seiten
Suhrcamp
22,- Euro


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Jeder Krieg ist sinnlos ...
… und die Leidtragenden sind immer die unbeteiligten Menschen. Dies unterstrich die Lesung und Diskussion mit dem ukrainischen Autor Serhji Zhadan im Ulmer Donauschwäbischen Zentralmuseum ganz deutlich. Zhadan hat einen Antihelden geschaffen, der sich trotz seiner Unbedarftheit aufmacht, mitten in den Bürgerkriegswirren seinen Neffen aus dem Internat zu holen, da dieser dort nicht mehr sicher ist. Der Autor wollte, wie er im Gespräch deutlich machte, mit seinem Buch keine Propaganda machen, sondern einen Antikriegsroman schreiben. Das ist ihm wirklich gelungen, da er den Weg seiner Protagonisten durch die vom Bürgerkrieg verheerte Stadt mit fast schon apokalyptischen Bildern beschreibt. Bernd Weltin hat als Vorleser diese Stimmung bestens interpretiert. Die Veranstaltung hätte mehr Ulmer Zuhörer verdient, wenn auch die Lesung mit vielen ukrainischen Gästen gut besucht war.

Mittwoch, 21. März 2018 - 19 Uhr
Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm

Heimat guckt aus dem Kochtopf
Vogelmilch mit Schneeballen, böhmische Dalken, Grumbieresupp mit Zoppknedlicher oder Powideltaschkerln; man muss nicht unbedingt aus dem europäischen Osten kommen, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Im Rahmen eines Ausstellungsprojektes über Essen und Trinken der Deutschen im östlichen Europa im Münchner Haus des Ostens ist das Kochbuch „Kann Spuren von Heimat enthalten“ entstanden. Zwölf Millionen deutsche Flüchtlinge vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer haben als Teil ihrer kulturellen Identität glücklicherweise ihre Essgewohnheiten und damit auch ihre Lieblingsrezepte mitgebracht. Wer da denkt, dass die Art zu kochen so ohne weiteres im Westen sofort akzeptiert wurde, sieht sich getäuscht. Doch über die Jahre – die Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen – hat die Küche des Ostens unseren Speiseplan wirklich bereichert. Das Kochbuch bietet eine Fülle von typischen Rezepten, die zeigen, wie die Küche jeweils von der Region und der dort lebenden nichtdeutschen Bevölkerung beeinflusst wurde.

Thomas Mahr


„Kann Spuren von Heimat enthalten“
Typische Rezepte der Deutschen aus dem östlichen Europa
Erste Auflage 2017
180 Seiten
Volk Verlag
19,90 Euro





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Attila Bartis
„Das Ende“

Roman
751 Seiten
Suhrkamp
28,-- Euro


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Ungarn – ein halbes Jahrhundert in Romanform
Selten hat ein Autor so schön über die Traurigkeit geschrieben. Man kann dieses Grau, das in dem langen Zeitraum der Regierung Kadars in Ungarn vorherrschte, sehen und spüren. Dem stellt Attila Bartis die Liebe entgegen, intensiv und verzehrend, als eine Gegenwelt, die für kurze Zeit eine Flucht ermöglicht. Der ungarische Autor hat mit seinem Roman, den er im DZM vorstellte, auch der Fotografie ein kleines Denkmal gesetzt, denn so wie der Autor selbst, ist sein Protagonist ein anerkannter Fotograf. Bartis wies im Gespräch in Ulm darauf hin, dass Literatur und Fotografie vieles gemeinsam haben, auch wenn die beiden Kunstformen völlig unterschiedliche Arbeitsweisen erfordern. Der Schauspieler Karl Heinz Glaser lieh dem grandiosen Roman seine ausdrucksstarke Stimme.

Mittwoch, 8. November 2017 - 19 Uhr
Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm




Jelena Volic und Christian Schünemann
„Maiglöckchenweiß“

Ein Fall für Milena Lukin
320 Seiten
Diogenes
22,-- Euro


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Belgrad, Metropole am Zusammenfluss von Donau und Save…
…ist wieder der Schauplatz des dritten Kriminalromans des deutsch-serbischen Autorenpaars. Bei der Lesung im Donauschwäbischen Zentralmuseum konnten die Zuhörer einen Blick in die Schreibwerkstatt werfen und neben aller Spannung auch einiges von der politischen Brisanz des Landes erfahren. Gleichzeitig sind die „Milena Lukin Romane“ eine Aufforderung, die Hauptstadt Belgrad unbedingt einmal zu besuchen. Eine Stadt mit einem besonderen Flair, einer Lebendigkeit, die mit jeder anderen europäischen Metropole konkurrieren kann.

Donnerstag, 19. Oktober 2017 - 19 Uhr
Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm




Nick Thorpe
„Die Donau“

Eine Reise gegen den Strom
384 Seiten
Zsolnay
26,-- Euro


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Eine Donaureise andersrum
Um den Donauanrainern im Westen zu zeigen, wie vielfältig und schillernd der Osten und das Delta des großen Stromes sind, braucht Nick Thorpe mehr als die Hälfte seines Buches, bis er sich so langsam der ungarischen Grenze nähert - doch es ist keine Seite zu viel. Er berichtet von vielen Begegnungen, beschreibt Landschaften und erzählt historische Episoden, die den Leser sofort für jene Region einnehmen. Natürlich hat er bei der Lesung im Donauschwäbischen Zentralmuseum auch von seinem Besuch in Ulm erzählt, von einem türkischen Schneider, der ihm aus der Patsche half. Thorpe erwähnte, dass er mit den großen Donauvorgängern Claudio Magris und Péter Esterházy nicht konkurrieren möchte, sondern seinen ganz eigenen Weg die Donau hinauf gesucht hat.

Donnerstag, 21. September 2017 - 19 Uhr
Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm













Ulrich Gansert
„Erlebnis Czernowitz“

Auf den Spuren von Paul Celan. Landschaften der Dichtung
260 Seiten
Löcker
49,80 Euro


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Czernowitz – ein magischer Traum vergangener Tage
Selbst heute kann man sich als Besucher dieser Stadt, dem Reiz und der Magie, die von ihr ausgeht kaum entziehen. In Czernowitz dreht man das Rad der Zeit um 100 Jahre zurück. Einmal dort durch die Gassen geschlendert, wird man, egal von woher angereist, in seinem Denken an Czernowitz von Heimweh nach dieser Stadt ergriffen. Ulrich Ganserts Bildband, der die bukowinische Metropole mit seinen prachtvollen Bildern erkundet und ganz nebenbei auch auf Paul Celan und viele andere große Czernowitzer hinweist, ist das schönste Erinnerungsalbum gelungen, das je von dieser Stadt fotografisch unternommen wurde. Zum Gelingen des Buches tragen aber ebenso die sehr schönen und informativen Texte bei, die den Bilderreigen begleiten.




Miljenko Jergović
„Die unerhörte Geschichte meiner Familie“

Roman
1144 Seiten
Schöffling
34,00 Euro


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Hundert Jahre Balkan im Donauschwäbischen Zentralmuseum
Die Lesung mit Miljenko Jergović in Ulm war eine kleine Sternstunde der Literatur. Nicht nur, weil der 1100 Seiten Roman des kroatischen Autors solch eine schriftstellerische Meisterleistung ist, sondern weil die Diskussion so tief und dabei hochaktuell war. So sind für Jergović nicht etwa die populistischen Nationalisten an der Macht das Problem, vielmehr fürchtet er sich vor Demokratien, die solche Figuren wählen. Der Roman, der ein Füllhorn an Geschichten bietet, wurde von dem Ulmer Schauspieler Karl Heinz Glaser bestens gelesen und das Kapitel über die Deutschen in Sarajewo nach dem Krieg zeigte, wie gut Jergović an Hand seiner Familiengeschichte hundert vergangene Jahre des Balkans lebendig werden lässt. Leni Perencevic vom Museum kam der schwierige Part des Übersetzens zu, den sie glänzend gemeistert hat.

Donnerstag, 18. Mai 2017 - 19 Uhr
Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm




Alida Bremer,
Michael Krüger
„Glückliche Wirkungen“

Eine literarische Reise in bessere Welten
240 Seiten
Propyläen
28,00 Euro


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„Sein Jahrhundert kann man nicht verändern,
aber man kann sich dagegen stellen
und glückliche Wirkungen vorbereiten“


Johann Wolfgang von Goethe

Eine literarische Reise in bessere Welten
Um glückliche Wirkungen für bessere Welten geht es in dem Buch – von Frank Walter Steinmeier noch in seiner Funktion als Außenminister angeregt – das von der Autorin und Übersetzerin Alida Bremer und dem Grandseigneur des deutschen Buchhandels, Michael Krüger, herausgegeben wurde. Alida Bremer kam nach Ulm, um dieses so geglückte Projekt vorzustellen. Tatsächlich haben 56 Autoren aus den 57 OSZE-Ländern (Turkmenistan hinterließ eine Lücke) Beiträge dazu geleistet, die, wie die Herausgeberin erzählte, unterschiedlicher nicht sein könnten und doch zieht sich ein gemeinsamer kultureller Faden durch das Buch. Mit auf dem Podium im Donauschwäbischen Zentralmuseum saß der ungarische Philosoph Tamás Miklós, der den Text für sein Land zu dieser Anthologie beisteuerte. Die Ungleichzeitigkeit in der Entwicklung der Staaten, die Frage der Bildung, Berechtigung oder gar die Notwendigkeit von Utopien waren Aspekte, die während des Abends zur Diskussion anstanden. Bereichert wurde die Veranstaltung durch Bernd Weltin, der Texte des Buches aus verschiedenen Ländern gekonnt vorlas. Wenn es um glückliche Wirkungen geht, dann ist dieses Buch ein wertvoller Beitrag und die Veranstaltung im DZM trug seinen Teil dazu bei.

Donnerstag, 27. April 2017 - 19 Uhr
Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm

38 Bücher aus 38 europäischen Ländern
Es hat mich sehr gefreut, dass ich Ende Februar eine Einladung von der Landeszentrale für politische Bildung nach Urach in das „Haus auf der Alb“ erhalten habe. Um zu zeigen, wie eng verbunden die europäische Staatengemeinschaft ist, aber gleichzeitig auch welche kulturelle Vielfalt sich darin widerspiegelt, durfte ich dort 38 Bücher – fast nur Romane – aus 38 europäischen Ländern einem sehr interessierten Publikum im Schnelldurchlauf vorstellen. Zuvor berichtete ich aber in meiner Einführung von einem fiktiven Buch, das in 20 Jahren erscheinen könnte. Das Buch eines großen Dichters, vielleicht Lebenserinnerungen, die den Niedergang Europas anprangern. Mit Stefan Zweig hat in der Vergangenheit schon einmal ein großer Europaenthusiast und Schriftsteller den politischen und moralischen Zerfall unseres Kontinents in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedauert. Sein Buch „Die Welt von Gestern“ ist allen Europaskeptikern dringend zur Lektüre angeraten. Die kurze Einführung und die Liste der vorgestellten Bücher können sie hier nachlesen.

Thomas Mahr





Stefan Zweig
„Die Welt von gestern“

Erinnerungen eines Europäers
464 Seiten
FISCHER Taschenbuch
11,95 Euro






Marina Caba Rall
„Esperanza“

Roman
224 Seiten
Wagenbach
19,90 Euro


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Spanien im Donauschwäbischen Zentralmuseum
An Flucht, Vertreibung und Migration hängen zwar immer Einzelschicksale, aber es gibt auch Parallelen. Deshalb war es gut die deutsch-spanische Autorin Marina Caba Rall in das Museum einzuladen, in dem sonst eher östliche Autoren das Wort haben. Caba Ralls Roman „Esperanza“ zeigt, wie die Verdrängung von Geschichte, die Ausblendung der eigenen Biografie, eine ansonsten glückliche Familie aus dem Gleis bringen kann. Mehr als 40 Jahre lebt eine Spaniern in Berlin, verheiratet, zwei erwachsene Kinder und dann steht plötzlich ein Mann vor der Tür, der seine Mutter sucht. Die Autorin erklärte im Gespräch, dass die Wunden der spanischen Diktatur unter Franco noch längst nicht verheilt sind. Zaghaft ist die Aufarbeitung und erfolgt fast ausschließlich durch private Initiativen. Ähnlich wie bei den Flüchtlingen aus Osteuropa, erklärte Caba Rall, ginge das Trauma des Krieges auch in ihrem Heimatland auf die zweite Generation über.

Montag, 28. November 2016 - 19 Uhr
Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm
In Kooperation mit der Frauenakademie vh Ulm




László Darvasi
„Wintermorgen“

Novellen
345 Seiten
Suhrkamp
24,00 Euro


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Der ungarische Staatschef Viktor Orbán hat schon immer seine eigenen Regeln gehabt, erzählte László Darvasi bei unserer Ulmer Lesung im Donauschwäbischen Zentralmuseum; auch beim Fußball. Beide haben in jungen Jahren gegeneinander gespielt. Darvasi, ungarischer Journalist, Literaturkritiker und Fußballenthusiast zeigt als Schriftsteller ein ganz anderes Gesicht. Seine Novellen sind von Fantasie und Sprachgewandtheit gekennzeichnet, die ihn zu einem großen Dichter machen. Im Gespräch, bei seiner Lesung, gab er Einblick in seine Schreibwerkstatt und unterstrich, dass gerade das Absurde seiner Novellen die groteske Realität in Ungarn aufzeige und nicht nur dort.

Mittwoch, 16. November 2016 - 19 Uhr
Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm

Ein neu erwachtes Bewusstsein
Ob die Donauschwaben wirklich ein Auslaufmodell in den östlichen Donauanrainerstaaten sind, wird die Zukunft zeigen. Der Katalog der Ausstellung „Unter Anderen“ des Donauschwäbischen Zentralmuseums Ulm lässt eine etwas optimistischere Einschätzung zu. Erstaunlicherweise ist es der serbische Fotograf Dragoljub Zamurović, der sich in Ungarn, Kroatien, Serbien und Rumänien auf Spurensuche begeben hat und dabei ganz erstaunliche Begegnungen erfahren durfte. Denn er hat auch junge Menschen gefunden, die sich ihrer ethnischen Wurzeln besinnen. Die Bilder zeigen deutlich, wie die Tradition der Deutschen noch nicht verloren gegangen ist und an manchen Orten wieder auflebt. Die jeweiligen Eingangskapitel zu den einzelnen Donauländern sind informativ und erläutern mit ihren statistischen Zahlen den Bevölkerungsanteil der Donauschwaben. Die geführten Interviews, ebenfalls im Katalog, vermitteln ein buntes Bild der Lebensgeschichten. Einer der Befragten – Peter Trimper - schließt mit dem Satz, dass er immer noch Deutsch denkt, würde man auf das Rumänische wechseln, so würde man seine Muttersprache vergessen.

Thomas Mahr


Unter Anderen / Amongst Others
Donauschwaben im südöstlichen Europa heute
Ausstellungskatalog
180 Seiten
Klemm & Oelschläger
19,80 Euro


Die Bilder sind dem Ausstellungskatalog entnommen

Die Ausstellung im Donauschwäbischen Zentralmuseum läuft noch bis zum 17. April 2017








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Nachlese Donaufest 2016
Einhellig ist die Meinung, dass das 10. Internationale Donaufest in Ulm ein voller Erfolg war. Das eigens inszenierte Musiktheaterstück „Treibgut“, die Fotoausstellung „Under the Bridge“ mit Fotografien Obdachloser entlang der Donau und der Donau- Musikpreis, der in diesem Jahr für die Violine vergeben wurde, wurden dem Jubiläumsfest gerecht. Markenzeichen für das Festival ist aber die Begegnung der Menschen entlang der Donau, die sich immer zum Donaufest an den Ufern einfinden und auf dem Markt der Donauländer ein Stück Europa lebendig werden lassen.
Für die Begegnung mit der Literatur durften wir wieder verantwortlich zeichnen. Das Format bedeutende, aber vergessene Donauliteratur und deren Autoren mit Hilfe der Stimmen großartiger Schauspieler wieder dem Publikum näher zu bringen fand eine Fortsetzung. August Zirner las im Ulmer Stadthaus aus dem Werk Danilo Kis‘ und Ulrike Kriener rezitierte Alexandar Tisma, der 2003 verstarb, aber Gast des ersten Ulmer Donaufestes war. Wer sich kundig machen möchte über Werk und Leben der beiden Autoren kann hier gerne meine beiden Einführungen zu den Veranstaltungen nachlesen.
50 Frauen (und zwei Männer) waren Zuhörer eines Symposiums „Frauen an der Donau“ das wir mit Unterstützung von Leni Perencevic vom Donauschwäbischen Zentralmuseum im Ulmer Einsteinhaus durchführten. Mit Alida Bremer (Kroatien, ) Noemi Kiss (Ungarn), Babi Markovic (Serbien), und Dana Grigorcea (Rumänien) stellten sich vier Autorinnen aus verschiedenen Donauländern vor und diskutierten so tief, umfassend aber auch aktuell über das Thema, dass für die Zuhörerinnen die ganztägige Veranstaltung wie im Flug verging.
Das Thema der Frauen an der Donau wurde auch zum Leitmotiv der literarischen Absacker in der Galerie Schrade. Schauspielerinnen lasen ausgewählte Texte von Donauautorinnen - bestens begleitet am Akkordeon von Ivan Antonic. Die kurzen, anregenden Lesungen fast schon zur mitternächtlichen Stunde sind zum Geheimtipp geworden.

Der Mut zum Weiterleben
Von Holocaust-Kitsch zu sprechen dürfte schon die härteste Keule sein, um einem Buch von vorneherein jeglichen Wert abzusprechen. Dabei scheint Maxim Biller die Intention dieses Romans des ungarischen Regisseurs Péter Gárdos nicht verstanden zu haben. „Fieber am Morgen“ erzählt vom Leben nach dem Ende des Schreckens im Lager. Der Autor hat diese Handlung ja nicht frei erfunden, es ist die Geschichte seiner Eltern, deren Aufeinandertreffen in Schweden eine wahre Liebesgeschichte widerspiegelt und einen Willen weiterzuleben, um das Grauen zu überwinden. Dass Miklós Gárdos tatsächlich 117 Briefe geschrieben hat, um in Schweden die Liebe zu finden, ist ja nicht frei erfunden, sondern Teil einer Biografie. Und wirklich fand er dadurch mit Lili seine spätere Frau. Vielleicht muss man nach vorne schauen, um den Wert dieses Buches zu erkennen. Was wäre geschehen, wenn Länder wie Schweden nach dem Krieg keine jüdischen Überlebenden aufgenommen und durch ihre Fürsorge wieder auf die Beine gebracht hätten. Denkt man daran, dass die Mittäterschaft der Ungarn am Holocaust noch immer ein gesellschaftspolitisches Tabu ist und sieht, wie Orbans Politik gegenwärtig mit den Flüchtlingen umgeht, kommt man nicht umhin, Gárdos‘ Roman aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten – und auch der Verfilmung wünsche ich - Kitsch hin oder Kitsch her - das gleiche Happyend wie im Buch.
Thomas Mahr

Peter Gárdos
„Fieber am Morgen“

Roman
251 Seiten
Hoffmann und Campe
22,-- Euro

Europa an den Rändern
„Schäbiges Schmuckkästchen“, so bezeichnet die ungarische Autorin Noémi Kiss den östlichen Rand Europas, den sie auf ihren Reisen erkundet hat. Unter diesem Titel erscheinen zusammengefasst ihre Reisebeschreibungen in einem Buch, das für mich zu dem Interessantesten zählt, was in jüngster Zeit über den Osten Europas erschienen ist. Mit den Gedichten von Paul Celan und einem uralten Baedeker in der Tasche beschreibt sie jene habsburgischen Grenzregionen, die ehedem Bukowina und Galizien hießen und heute mit neuen Grenzen auf verschiedene Länder verteilt sind. Kiss reflektiert gleichzeitig die historische Patina, den Mythos, der bei Städtenamen wie Lemberg oder Czernowitz anklingt und ist doch ganz nah an der Gegenwart, wenn sie den Alltag der Menschen im Hier und Heute einfängt. Europäische Regionen, die aus der Zeit gefallen scheinen, deren Bewohner sich aber bemühen eben doch als Teil Europas wahrgenommen zu werden. Kiss schreibt mit einer so einfühlsamen und genauen Sprache, dass man vom leidvollen Schicksal jener versehrten Regionen angerührt und angestiftet wird, schnell die Koffer zu packen um es ihr gleich zu tun.
Thomas Mahr



Noémi Kiss
„Schäbiges Schmuckkästchen“

Roman
173 Seiten
Europa Verlag Berlin
17,99 Euro



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Gespräch und Lesung aus dem „Schäbigen Schmuckkästchen“ waren im Donauschwäbischen Zentralmuseum ein voller Erfolg. Noemi Kiss, die vielversprechende, junge ungarische Autorin, steht für ein ganz anderes Bild ihres Heimatlandes, als das, welches uns gerade die Medien vermitteln. Es ist erstaunlich, mit welchen Assoziationen, welch Bildern, sie von den Eindrücken ihrer Reisen in den Osten Europas berichtet - wie sie gleichzeitig Hoffnungslosigkeit und dann wieder Aufbruchsstimmung erfährt. Sie hat den Staub der Vergangenheit Schicht für Schicht abgetragen und ist dabei nicht nur auf Geschichte(n) gestoßen, sie hat auch in die Seele der Menschen geblickt.

Donnerstag, 12. November 2015 - 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm


Wiederentdeckt
Sibylle Schleicher und Hannelore Jäger lasen am 10. Oktober 2015 anlässlich der Ungarischen Kulturtage in Ulm im Haus der Donau aus Magda Szabos Roman „Hinter der Tür“. Das Buch erschien erstmals 1987 in Ungarn und sorgte dort für eine literarische Sensation. Daraufhin wurde es in 36 Sprachen übersetzt und spätestens nach der Verfilmung mit Martina Gedeck in einer der Hauptrollen ist das Buch zum Klassiker geworden. Der Roman handelt von einer erfolgreichen Schriftstellerin, die mit Emerenc eine Frau gefunden hat, die in ihrem Heim bald unersetzlich wird. Die Haushälterin ist aber ein Mensch mit sehr eigenem Charakter, so dass sie bei aller Liebenswürdigkeit, die sie der Hausherrin entgegenbringt, doch ihre Geheimnisse verbirgt. Magda Szabo zeichnet mit ihren zwei so unterschiedlichen Frauenbildern, die in dem Buch aufeinandertreffen, ein ungarisches Gesellschaftsportrait, das die Verletzungen der Geschichte in die Gegenwart hinein reichen lässt. Die beiden Schauspielerinnen haben mit ihren unterschiedlichen Stimmen den Roman sehr lebendig werden lassen und die Lesung fast schon inszeniert, da sie mit klassischer Musik wunderbare Überleitungen schafften. Die Lesung, ein wahrer Hörgenuss, der wirklich animierte, anschließend selbst im Buch weiterzulesen.
Thomas Mahr

Magda Szabó
„Hinter der Tür“

Roman
310 Seiten
Suhrkamp
8,99 Euro


Eine Minderheit am Abgrund
Was für ein Glück, dass es uns gelungen ist, die in England lebende Autorin Ursula Ackrill nach Ulm ins DZM einzuladen und als Gast begrüßen zu dürfen. Die promovierte Germanistin mit siebenbürgischen Wurzeln hat fern ab von der deutschen Sprache, aber eben doch auf Deutsch ihren ersten Roman geschrieben. Nicht nur weil es den Tonfall der rumäniendeutschen Minderheit einfängt, bereichert das Buch die Gegenwartsliteratur, es ist einzigartig, wie die angespannte Stimmungslage der Menschen in der Kleinstadt Zeiden, westlich von Kronstadt gelegen, im Jahr 1941 beschrieben wird. Wie in einem Kaleidoskop tauchen in dem Roman die Figuren auf, die eine Rolle in dem kleinstädtischen Leben spielen und dabei den Versprechen der Nationalsozialisten mehr oder weniger auf dem Leim gehen. Einzig Leontine, die „Heldin“ des Romans stellt sich quer wie eine Kassandra, aber auch ihre Warnungen bleiben ungehört.

Montag, 20. April 2015 - 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm


Ursula Ackrill
„Zeiden, im Januar“

Roman
256 Seiten
Wagenbach Verlag
19,90 Euro



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Donauschwäbische Geschichten im Museum
Gut besucht war die Lesung im Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm in der der Buchhändler Thomas Mahr als Autor eigene Kurzgeschichten las. Der Inhalt dieser Erzählungen war angelehnt an die Ausstellung „Gyula das Tauschkind“ im Museum. Henrike Hampe, Kuratorin der Ausstellung und Museumsmitarbeiterin, eröffnete den Abend mit ihrer Einführung. Bernd Weltin ergänzte diesen Abend mit Texten aus der Literatur des Donauraumes. Eingeleitet wurden die Textpassagen immer von kurzer Küchenpoesie, die Angelika Mahr vorlas.
Thomas Mahr

Donnerstag, 19. Februar 2015 - 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

Wer an dem Abend nicht dabei sein konnte, hat hier die Gelegenheit die Texte zu lesen.

Habsburg Mythos und Markenzeichen
Zunächst einmal hat Richard Wagner wirklich eine kleine Bibliothek einer verlorenen Welt geschrieben. Wer immer auf der Suche ist nach mehr oder weniger vergessenen Büchern und Autoren entlang der Donau beziehungsweise in den ehemaligen habsburgischen Landen für sich entdecken möchte, der hat mit seinem Buch wunderbare Anregungen gefunden. Wagner, ehedem der Lebenspartner der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, kommt auch aus dem Banat. Er hat nicht nur ein diktatorisches Regime jenseits des Eisernen Vorhangs erlitten, er weiß auch, was nationalstaatliches Denken für Minderheiten bedeutet. Trotzdem unterliegt er nicht dem Klischee, das Habsburgerreich als multikulturell funktionierendes Staatensystem zu beschreiben. Oftmals wird für ihn der Mythos des Habsburgerreichs verklärt, der auch bei den Planspielen der heutigen EU-Osterweiterung den Blick vernebeln kann. Doch zurück zur Bibliothek: Allein Wagners Fundstücke einer untergegangen Welt zeichnen sich gerade durch seine individuelle Auswahl aus - am Leser selbst liegt es dann, aus den Mosaiken ein eigenes Bild zu kreieren, in dem er selbst auf literarische Entdeckungsreise geht..
Thomas Mahr

Richard Wagner
„Habsburg“

Roman
240 Seiten
Hoffmann und Campe Verlag
27,99 Euro


Ivo Andric
„Die Brücke über die Drina“

Roman
496 Seiten
Zsolnay
25,90 Euro



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"Gesellschaftliche Veränderungen? Die Menschheit muss von Zeit zu Zeit die Schultern wechseln, auf der sie die Last trägt, die Leben heißt."
Ivo Andric
Die Idee ein Stück Weltliteratur einen Abend lang in den Mittelpunkt des Donaufestes zu stellen, ist wieder beeindruckend aufgegangen. Mit der Schauspielerin Cornelia Froboess ist es uns gelungen, dem einzigen jugoslawischen Nobelpreisträger eine große Stimme zu leihen. Das Stadthaus war gut gefüllt und das gebannt zuhörende Publikum ließ sich ganz von dem Sog des glänzend stimmlich interpretierten Vortrags einfangen. Die Schauspielerin las das Schlusskapitel „Der Brücke über die Drina“, der Chronik der bosnischen Grenzstadt Visegrad, just zu dem Zeitpunkt als gut 100 Kilometer weiter nördlich im Juni 1914 der Habsburger Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau von einem serbischen Attentäter erschossen werden. Der eigentliche Held des Romans ist die berühmte Brücke, die fast 500 Jahre der Mittelpunkt der Stadt war und durch die Sprengung dem Ersten Weltkrieg zum Opfer fiel. Damit fanden auch eine Jahrhunderte währende Geschichte und der Versuch einer gelebten Toleranz ein Ende. Wer mehr über das Werk, das Leben und den Roman von Ivo Andric erfahren möchte kann die Einführung, die ich an dem Abend halten durfte, nachlesen.
Thomas Mahr

Mittwoch, 9. Juli 2014
Stadthaus Ulm

An Dalmatiens Küsten
Alida Bremer ist ständig unterwegs, um die kroatische und serbische Literatur dem deutschsprachigen Lesepublikum näher zubringen. Sie lebt mit ihrem deutschen Mann in Münster und ist dort als unermüdliche Übersetzerin tätig. Gleichzeitig organisiert sie aber auch pausenlos vielbeachtete Veranstaltungen, Symposien und Messen, die sich um die Literatur des Balkans drehen. Rechtzeitig zum Beitritt Kroatiens in die EU hat sie nun aber selbst einen Roman auf Deutsch veröffentlicht. „Olivas Garten“ lässt tief in die jüngste Geschichte Dalmatiens blicken, ohne dass Bremer auf das Genre des historischen Romans zurückgreifen musste. Die mögliche Erbschaft eines Gartens zwingt die Erzählerin von Deutschland aus in die alte Heimat zu reisen und gleichzeitig in der langen Familiengeschichte zu kramen. Herausgekommen ist dabei eine Hommage an ihre Großmütter, an die Frauen, die die Grausamkeiten der Geschichte des Landes erleiden mussten. Bei diesen Rückblenden zeigt Alida Bremer aber auch etwas von der Lebensfreude dieser Frauen, die mit ihrer Vitalität dem Schicksal trotzen.

Donnerstag, 27. März 2014 - 19 Uhr
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm


Alida Bremer
„Olivas Garten“

Roman
320 Seiten
Eichborn Verlag
19,99 Euro


Donaugeschichten
Welch größeren Enthusiasmus für die Donau kann man dennaufbringen, als einen umfangreichen Band in der Reihe „Europa Erlesen“ über diesen großen europäischen Strom herauszugeben. Der unermüdliche österreichische Verleger Lojze Wieser hat dies geschafft, in dem er in der gleichen Reihe nun noch einen Band folgen ließ, der sich ausschließlich mit dem Donaudelta beschäftigt. Wer schon einmal in einem Buch dieser Reihe gelesen hat, wird sehr schnell merken, was für eine besondere Wirkung die unorthodoxen, unkommentierten und kurzen Beiträge bei der Lektüre hinterlassen. Der Doppelband über die Donau, der schon im Format fast den Eindruck eines „Zauberwürfels“ vermittelt, versprüht auch im Inhalt eine Magie, die einen ständig weiterlesen lässt. Die kurzen Geschichten folgen zwar formal dem Lauf der Donau, inhaltlich springen sie aber vom Nibelungenlied zur Verordnung der Donaustrompolizei, vom barocken Gedicht hin zu einem Text von Ingeborg Bachmann und dann bleibt der Ulmer Leser hängen an einer wirklich romantischen Geschichte von Mark Heywinkel vom Neu-Ulmer Jungen, der nicht zu seiner Angebeteten auf die andere Flussseite kommt... Die jetzt gerade neu erschienene Anthologie vom Donaudelta stellt eine wunderbare Ergänzung zu dem Doppelband dar. Elias Canetti erzählt davon, dass man früher eine Reise vom Delta aus nach Wien als „ Fahrt nach Europa“ bezeichnete. Doch der Blick in umgekehrte Richtung öffnet uns eine Tür, die ein anderes Europa zeigt, in dem einst ein buntes Völkergemisch eine erstaunliche Toleranz zeigte. Ebenso entdecken wir eine Landschaft von fast unschätzbarem ökologischen Wert und Spuren einer Hochkultur in der Antike, längst bevor die Germanen sich aufmachten den Donauraum zu besiedeln.
Thomas Mahr


Europa Erlesen
„Donau“

Herausgegeben von Christian Fridrich
638 Seiten
Wieser Verlag
29,90 Euro



„Donaudelta“
389 Seiten
Wieser Verlag
14,95 Euro