Romane

Das Ende einer glücklichen Kindheit
Ichenhausen mit seiner Synagoge und dem entrückten, weltvergessenen jüdischen Friedhof ist eine Stadt in Bayern, in der man sich vielleicht auch heute noch in die Zeit zurückversetzen kann, in der Deutsche und Juden noch friedlich in der Provinz zusammenlebten. Rafael Seligmanns Roman „Lauf, Ludwig lauf!“ stellt diese schwäbische Stadt in den Mittelpunkt seines neuen Romans. Er hält sich dabei an die Erinnerungen seines Vaters Ludwigs. Dessen Jugend war geprägt von dem Wechsel zwischen Synagoge und Fußballplatz. Zu Anfang schien das Leben friedlich, doch nach und nach zersetzt das Gift der nationalsozialistischen Ideologie die Gemeinschaft im Städtchen.
Und so wie dem Jungen auf dem Fußballplatz „lauf Ludwig, lauf“ zugerufen wurde, rettet ihn der gleiche Ruf eines Freundes, so schnell wie möglich seine Heimatstadt zu verlassen, bevor er verhaftet wird.
Thomas Mahr

Rafael Seligmann
„Lauf, Ludwig, lauf!“

Roman
Eine Jugend zwischen Fußball und Synagoge
320 Seiten
Langen/Müller Verlag
24,- Euro

Keine Seite Zuviel
Wenn Max beginnt seine Geschichte zu erzählen, ist man nach wenigen Sätzen gefesselt und berührt. Man hat einen besten Freund gefunden nach dessen Worten man süchtig wird. Max verbringt eine glückliche Jugend im Norwegen der achtziger Jahre, er muss mit seinen Eltern nach Long Island ziehen und sich ein neues Leben suchen. Er lernt Freunde kennen und Mischa, eine Künstlerin seine große Liebe. Max wird Schauspieler und Theaterregisseur und zu erleben wie seine Stücke und Mischas Kunst entstehen ist atemberaubend. Letztendlich geht es um das Suchen und Finden von Heimat und wahrer Familie. Max über mehr als 20 Jahre dabei begleiten zu dürfen, ist ein großes Geschenk.
Klaus Schönfeld

Johan Harstad
„Max, Mischa und die Tet-Offensive“

Roman
1248 Seiten
Rowohlt Verlag
34,- Euro

Stunden der Entscheidung
Miriam Toews Roman „Die Aussprache“ kostet den Leser viel Kraft und manches Mal glaubt man nicht weiterlesen zu können. Und doch kann man nicht aufhören.
In einer Mennoniten Gemeinde kam es über Jahre hinweg immer wieder zu sexuellen Übergriffen an Frauen und Kindern. Nun stehen die Vergewaltiger vor Gericht, doch einige der Gemeindevorderen haben sich auf den Weg gemacht, um die Täter auf Kaution frei zu bekommen.
Acht Frauen beraten nun in den 48 Stunden, die ihnen bis zur Rückkehr der Männer bleiben, was sie tun sollen. Bleiben oder gehen, wie weiterleben mit dieser grausamen Wahrheit? Ein schmerzhaft ehrliches und wichtiges Buch, das Mut macht, sich mit Macht und Missbrauch auseinanderzusetzen.
Sandra Kohl-Blum

Miriam Toews
„Die Aussprache“

Roman
256 Seiten
Hoffmann und Campe Verlag
22,- Euro

Welch lebenskluge Großmutter
Eines Tages erhält die Studentin Malina ein geheimnisvolles Päckchen. Darin enthalten sind eine Menge Geldscheine und eine Karte von ihrer längst totgeglaubten Großmutter. Die Enkelin sucht nach ihrer Oma Krystina und findet sie in einem Häuschen im Weinviertler Wald, in der Nähe von Wien. Dort führt die alte Dame ein recht unkonventionelles Lebe,n doch die beiden Frauen nähern sich einander an.
Ein moderner Heimatroman, voll liebenswerter Charaktere, Wärme und Oma Krystinas besonderer Lebensweisheiten.
Sandra Kohl-Blum

Thomas Sautner
„Großmutters Haus“

Roman
256 Seiten
Picus Verlag
22,- Euro

Der Traum von Veränderung
Tobias ist elf Jahre alt und fiebert der ersten Mondlandung im Jahr 1969 entgegen. Seine Mutter ist Hausfrau und sein Vater Ingenieur. Die Familie ist katholisch und wohnt im Stadtteil Köln-Porz und nennt ein schönes Haus mit Garten ihr Eigen. Alles scheint perfekt zu sein, ist es aber leider nicht. Dies wird deutlich als im Nachbarhaus eine politisch engagierte Familie einzieht, die so ganz anders ist. Die Frau ist Übersetzerin, der Mann Philosophieprofessor und die dreizehnjährige Tochter heißt Rosa, benannt nach Rosa Luxemburg. Die so unterschiedlichen Familien freunden sich an.
Als Leser ahnt man, was geschehen könnte, denkt an die Wahlverwandtschaften und liegt mit seiner Vermutung wahrscheinlich doch ganz falsch.
Charlotte Schuh

Ulrich Woelk
„Der Sommer meiner Mutter“

Roman
189 Seiten
C.H. Beck Verlag
19,95 Euro

Betörend und beängstigend
Der junge Leigh bricht zur größten Reise seines Lebens auf. Seine Frau Bea begleitet ihn zum Flughafen, die Zerbrechlichkeit und Verzweiflung dieser Abschiedsszene ist herzzerreißend. Später schreiben sie sich Briefe, er aus der neuen Welt, fasziniert und sich immer mehr entfremdend. Sie schreibt über Naturkatastrophen, Unruhen und Anarchie. Beide Welten sind so bedroht wie ihre Liebe zueinander. Ist Liebe so stark? Man begleitet die beiden mit Bewunderung, Hoffnung und Zärtlichkeit. Dieses Buch ist ein einziges wahr gewordenes Wunder.
Klaus Schönfeld

Michel Faber
„Das Buch der seltsamen neuen Dinge“

Roman
688 Seiten
Kein & Aber Verlag
25,- Euro

Das Winterschlaf-Projekt
Das war´s. Ich war frei. Ich erschuf die Zukunft. Eine Kunststudentin in New York beschließt sich für ein Jahr zurück zu ziehen und so viel wie möglich zu schlafen. Mithilfe von Tabletten versinkt sie in einen Dämmerzustand, zuweilen unterbrochen von Marathon Filme gucken auf ihrem alten Video Recorder. Als der kaputt geht nimmt sie das als Schicksal hin. Ging die Sonne auf oder unter? Wo ist die Fernbedienung? Der Müllschlucker ist die beste aller Erfindungen. Böse und manchmal obszön kommentiert sie die Welt um sich herum. Wie sie sich über die Kunst und Galerieszene lustig macht ist so knackig und klug. Das alles ist so herrlich politisch inkorrekt erzählt, mit wenigen Sätzen entlarvt sie die Lügen der Gesellschaft. Faszinierend!
Klaus Schönfeld

Ottessa Moshfegh
„Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“

Roman
320 Seiten
Liebeskind Verlag
22,- Euro

Was ist gut? Was ist böse?
Sommer in Leipzig. Während der Fußball-WM 2014 lernt Anna den Master-Studenten Jonas kennen. Bei einer Geburtstagsparty eskaliert die Situation: Anna sagt später, Jonas habe sie in dieser Nacht vergewaltigt. Jonas sagt, es war einvernehmlicher Geschlechtsverkehr.
Für beide beginnt nach der Anzeige der Tat ein Spießrutenlauf.
Denn jeder in ganz Leipzig, so scheint es, hat bei dieser Sache eine (ver-)urteilende Meinung.
Durch den neutralen Erzählton und der realitätsnahen Schilderung des gesellschaftlichen Umgangs mit der Thematik sexueller Gewalt, regt dieses Buch zum Überdenken an. Man durchlebt ein emotionales Wechselbad der Gefühle und das ist eine völlig andere Art, dieses aktuelle Zeitgeschehen in literarischer Form anzugehen.
Felicia Kolschefsky

Bettina Wilpert
„Nichts was uns passiert“

167 Seiten
Verbrecher Verlag
19,- Euro

Cortázar erzählt noch einmal. Aus dem Nachlass.
Im Jahr 2009, also 25 Jahre nach dem Tode Cortázars, werden zum ersten Mal die sogenannten „Papeles inesperados“ aus dem Nachlass angekündigt. Aus der unendlichen Fülle an Material entscheiden sich die Übersetzer der nun veröffentlichten deutschsprachigen Ausgabe für die Erzählung „Die Katzen“.
Hier begleitet der Leser den jungen Carlos María von seinem achten Lebensjahr bis zur Volljährigkeit. Seine Spielgefährtin Marta, ein gleichaltriges Mädchen, das im Haus seiner Eltern mitaufwächst, wird ihm zur treuen Komplizin, in die er sich bald verliebt. Die Mutter wacht aber mit Argusaugen über die beiden und Carlos muss sich fragen „Darf ich mich verlieben?“ Er weiß nämlich nicht, ob Marta das Kind einer früh verstorbenen Freundin der Mutter ist, oder ein dunkles Kapitel in der Ehe seiner Eltern. Und so vermutet er hinter dem sich anbahnenden Liebesglück eine tiefe Tragödie …
Wer die Grasharfe, den großen Meaulnes oder Bonjour Tristesse schätzt, ist hier genau richtig. „Die Katzen“: eine poetische Erzählung über das verlorene Paradies der Jugend.
Eva-Maria Mahr

Julio Cortázar
„Die Katzen“

100 Seiten
Lilienfeld Verlag
18,- Euro

Petite hystérie
In „ Ida“ erzählt Katharina Adler die Geschichte ihrer Urgroßmutter Ida Adler-Bauer, die als Freuds „Fall Dora“ unfreiwillig Berühmtheit erlangte.
Mit 18 Jahren wird Ida Bauer, die aus einer wohlhabenden Wiener Kaufmannsfamilie stammt, wegen einiger psychosomatischen Symptomen zu Sigmund Freud in die Berggasse 19 geschickt. Der berühmte Doktor soll die junge Frau von ihren Leiden befreien. Doch bereits nach drei Monaten bricht Ida die Redekur bei Freud, sehr zu dessen Leidwesen, ab. Sie ist nicht damit einverstanden, dass Freud, in alles was sie ihm erzählt, geheime sexuelle Wünsche hineininterpretiert.
Katharina Adler ist es in ihrem 500 Seiten starken Debütroman gelungen ein spannendes Frauenportrait zu zeichnen und uns einen Einblick in eine spannende Familiengeschichte zu gewähren, die 1900 in Wien, ihren Ausgang nahm.
Sandra Kohl-Blum

Katharina Adler
„Ida“

Roman
512 Seiten
Rowohlt Verlag
25,- Euro

Lebensentwürfe in einer Kleinstadt
Elizabeth Strout gehört spätestens seit ihrem Roman „Mit Blick aufs Meer“, für den sie 2009 den Pulitzerpreis erhielt, zu den bekanntesten Autorinnen der USA.
Ihr neuer Roman „Alles ist möglich“ lässt sich allerdings nicht so ganz einfach nacherzählen. Er ist vielmehr ein Reigen einzelner Lebensgeschichten ganz einfacher Leute aus der tiefsten Provinz.
Da ist zum Beispiel ein alter Farmer, der sich daran erinnert, wie vor vielen Jahren sein Hof abbrannte und die Familie auf einen Schlag alles verlor.
Oder Patty, eine Lehrerin, die mit ihrer eigenen Kindheit nie fertig wurde.
All diese Geschichten werden zusammengehalten durch die Figur der Lucy Barton, bereits bekannt aus „Die Unvollkommenheit der Liebe“, einer Schriftstellerin, die in ihre alte Heimat kommt, um ihren neuen Roman vorzustellen.
Eins haben jedenfalls alle Romane von Elizabeth Strout gemeinsam: Man fühlt sich beim Lesen irgendwie getröstet und im Inneren verstanden.
Sandra Kohl-Blum

Elizabeth Strout
„Alles ist möglich“

Roman
256 Seiten
Luchterhand
20,- Euro

Die Zurückgekommene
Ein kinderreiches, armes Paar aus einem Bergdorf in den Abruzzen tritt ihr kleines Mädchen nach der Geburt an eine entfernte Verwandte, die keine Kinder bekommen kann, ab. Das Mädchen wächst in einem schönen Haus direkt am Meer auf. Die Pflegeeltern fördern das intelligente Mädchen wo sie nur können.
Mit 13 Jahren wird sie von ihrem Pflegevater, mit der Begründung, ihre leiblichen Eltern wollen sie wieder zurückhaben, einfach an der Haustüre des ärmlichen Hauses in den Bergen abgesetzt. Sie wird nicht gerade mit überschwänglicher Freude von ihrer Familie empfangen... Das Essen ist knapp, sie muss sich das Bett mit einer ihrer Schwestern teilen und das Zimmer mit ihren Brüdern.
Sie wird von allen nur Arminuta genannt (die Zurückgekommene).
Diese ungewöhnliche Familiengeschichte erzählt davon, was es bedeutet, den eigenen Platz im Leben zu finden.
Charlotte Schuh

Donatella di Pietrantonio
„Arminuta“

Roman
224 Seiten
Kunstmann Verlag
20,- Euro

Eine Frage des Gewissens
Virginie, eine Pariser Polizistin, die gerade selbst mit ihrem Leben überfordert ist, soll nach einem langen Arbeitstag noch eine Sonderschicht einlegen. Mit ihren Kollegen Aristide und Erik soll sie einen tadschikischen Flüchtling, dessen Antrag auf Asyl abgelehnt wurde, an den Flughafen nach Roissy bringen.
Schnell begreift Virginie, dass den jungen Tadschiken in seinem Heimatland der sichere Tod erwartet. Sie und ihre Kollegen geraten in einen Gewissenskonflikt. Sollen sie ihren Auftrag einfach erledigen? Oder ihren eigenen moralischen Vorstellungen folgen?
Die Fahrt zum Flughafen wird für die drei Polizisten zu einer Art Prüfung und die Spannung im Auto fast unerträglich...
Der Autor des Buches lässt viele Fragen offen und dadurch viel Platz für weitere Diskussionen zu diesem aktuellen Thema.
Charlotte Schuh

Hugo Boris
„Die Polizisten“

Roman
192 Seiten
Ullstein Verlag
20,- Euro

Reichtum bis zum Verdruss
Manager, die sich trotz Kritik immer noch höhere Gehälter auszahlen lassen, smarte Finanzakrobaten, die mit dem Wohl ganzer Volkswirtschaften spielen und Rentner, die ihre letzten Groschen in der Hosentasche zusammenzählen, ob es noch für das nächste Bier reicht. Zornig müsste man sein! Doch nicht so Alexander Schimmelbusch, der den Endzeitroman „Hochdeutschland“ geschrieben hat, der geradezu in parodistischer und satirischer Form den Finanzkapitalismus in der Luft zerpflückt. In seinem Vorleben hat der Autor in jener hochkapitalistisch, abgeschotteten Welt gearbeitet und sein Protagonist Victor – Multimillionär – wird depressiv und sehnt sich nach ein klein wenig Glück, das sich nicht kaufen lässt. „Hochdeutschland“ ist bei aller Komik hochaktuell und so lesenswert, wie das schärfste politische Pamphlet.
Thomas Mahr

Alexander Schimmelbusch
„Hochdeutschland“

Roman
214 Seiten
Tropen Verlag
20,- Euro

Freundschaft
Die 14jährige June Elbus hängt sehr an ihrem Onkel Finn, einem sehr gefragten Maler, um dessen Bilder sich sämtliche Galerien reißen. Doch Finn erkrankt an Aids, eine Krankheit, die in den 1980er Jahren als sicheres Todesurteil gilt, für manche sogar als gerechte Strafe für Homosexualität. In den Monaten vor seinem Tod fertigt Finn ein Porträt von June und ihrer älteren Schwester Greta an, unter anderem auch, um möglichst viel Zeit mit den beiden zu verbringen.
Als Finn schließlich stirbt, weiß June nicht, wohin mit ihrem Schmerz. Doch dann meldet sich Toby bei ihr, Finns Freund, der, der von Junes Eltern als Finns „Mörder“ bezeichnet wird.
Carol Rifka Brunt hat eine tief berührende Geschichte über Verlust und Trauer, aber auch über Freundschaft und die heilsame Kraft der Vergebung geschrieben.
Sandra Kohl-Blum

Carol Rifka Brunt
„Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“

Roman
448 Seiten
Eisele Verlag
22,- Euro

Geschwisterliebe
Es beginnt an einem Sommerabend im Jahr 1939 auf einem Hausboot auf dem Mississippi. Die zwölfjährige Rill wohnt dort mit ihren Eltern und ihren vier jüngeren Geschwistern.
Als ihre Mutter, die Zwillinge erwartet, ins Krankenhaus muss, verspricht das Mädchen ihren Eltern auf ihre Geschwister aufzupassen. Als die Kinder aber alleine sind, werden sie von angeblichen Beamten in ein Waisenhaus gebracht. Rill versucht verzweifelt die Geschwister beieinander zu halten, aber es wird ihr alles abverlangen, vielleicht mehr als sie geben kann...
In diesem Roman thematisiert die US-amerikanische Autorin einen der größten Skandale in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Rill und ihre Geschwister stehen stellvertretend für tausende von Kindern, die ihren Familien zu Unrecht weggenommen wurden.
Charlotte Schuh

Lisa Wingate
„Libellenschwestern“

480 Seiten
Limes Verlag
22,- Euro

Seen, Wälder, starke Frauen
Tommi Kinnunen hat mit seinem, von der eigenen Familiengeschichte inspirierten Debütroman, Finnlands Bestsellerliste gestürmt.
Er stammt aus dem nordfinnischen Kuusamo und hier spielt auch sein Generationenroman, in dem er geschickt drei Frauenschicksale kunstvoll miteinander verwebt. Es beginnt mit Maria, einer Hebamme, die vor über hundert Jahren, in den entlegensten Dörfern und unter schwierigsten Umständen, Kindern auf die Welt hilft und den Frauen das Leben rettet. Marias uneheliche Tochter Lahja ist eine der ersten Fotografinnen des Landes, die mit ihren Bildern ein wertvolles Zeitdokument schafft, mit ihrem Mann aber nicht die Beziehung führt, die sie sich sehnlichst wünscht. Der Kreis schließt sich mit Kaarina, Lahjas Schwiegertochter, die unter der Dominanz der Schwiegermutter leidet und durch einen Dachbodenfund einem alten Familiengeheimnis auf die Spur kommt.
Sandra Kohl-Blum

Tommi Kinnunen
„Wege, die sich kreuzen“

Roman
336 Seiten
DVA
20,- Euro

Der Gnadenthron
Louisiana, 1943, der achtzehnjährige Schwarze Will sitzt in der Todeszelle. Er soll ein weißes Mädchen vergewaltigt haben, tatsächlich waren die beiden ein Liebespaar – jedoch kann sie ihm nicht mehr helfen, sie hat sich das Leben genommen, und Will, erfüllt von Trauer und Schuldgefühlen, resigniert. Die ganze Stadt weiß um die wahren Umstände und auch der Staatsanwalt hat erhebliche Zweifel an der Schuld es jungen Mannes. Doch der weiße Mob, heute würde man vielleicht von Wutbürgern sprechen, fordert Vergeltung. Man fühlt sich beim Lesen sofort an William Faulkners „Als ich im Sterben lag“ erinnert. virtuos schildert Elizabeth Winthrop aus verschiedenen Stimmen und Perspektiven die letzten Stunden vor der Hinrichtung, bevor Will den titelgebenden Mercy Seat, den elektrischen Stuhl, besteigen wird.
Anna Kalmbach

Elizabeth Hartley Winthrop
„Mercy Seat“

Roman
251 Seiten
Beck Verlag
22,- Euro

Schicksal eines Bergbauernhofes
Am Anfang ist es das Glück beim Kartenspiel, das dem Knecht Simon eine Alm hoch oben in den Bergen einbringt. Am Ende ist es wieder ein Glücksspiel, das des Finanzkapitals und des modernen Tourismus, welche beinahe die Lebensleistung von vier Generationen in Frage stellen. Dazwischen steht die mühevolle Arbeit eines ganzen Jahrhunderts, die aus dem kleinen Bauernhof ein ansehnliches Anwesen werden lässt. Geschichte und Geschichten einer bewegten Zeit, die auch in dem entlegenen Tal ihre Spuren hinterlassen. Mit dem Autor des Romans könnte man sagen, dass die Männer auf dem Hof bestimmen, was geschieht, die Frauen aber bestimmen, was geschehen ist.
Stefan Soder lässt eine junge Frau erzählen, wie die Menschen von der Zeit und der Landschaft geprägt wurden, wie sie aber auch selbst in das Rad der Geschichte eingegriffen haben.
Thomas Mahr

Stefan Soder
„Simonhof“

Roman
240 Seiten
Braunmüller
20,- Euro

Die Grausamkeiten des Krieges und die Kraft des Vergessens
Wann werden Verfahren eingestellt? Wenn keine Beweise (mehr) vorliegen? Claudio Magris’ neuer Roman „Verfahren eingestellt“ zeigt am Beispiel seiner Heimatstadt Triest, wie sich Kriegsverbrechen und Kollaboration vor 1945 die Hand gaben und wie energisch-hilflos Aufklärung und Anklage sich demgegenüber in den Jahren danach ausmachen. Luisa will Erinnerung wachhalten, ein Museum des Krieges gestalten, dessen Exponate zuvor von einem Mann fast manisch gesammelt wurden - doch sein Wissen um die Namen der Verräter von damals und sein explizites Ziel, mit seinem Waffenmuseum dem Frieden zu dienen, werden ihm letztlich zum Verhängnis. Im Wechsel der schicksalhaften Geschichten und Zeitebenen von gestern und heute entwickelt sich bedrängend beispielhaft und aktuell ein vielschichtiger Roman, in dem die Tragik der Hoffnung, die Schuld dem Vergessen und der bloße Hass der Kraft der Liebe begegnen.
Christian Schulz

Claudio Magris
„Verfahren eingestellt“

Roman
400 Seiten
Hanser
25,- Euro

Leben in Schieflage
„Betrunkene Bäume“ so der Titel des Debütromans von Ada Dorian gibt es wirklich, das sind Bäume, die im auftauenden Permafrostboden in Schieflage geraten. Wie diesen Bäumen, so geht es auch dem Protagonisten Erich, der nahezu 80 Jahre alt ist und dem sein Leben Stück für Stück entgleitet. Seine Frau hat ihn Richtung Sibirien verlassen, dort hat er sie, als junger Geologe, einst kennengelernt, seine kleine Familie hat dort ihre Wurzeln. Jetzt droht seine Tochter Irina mit dem Pflegeheim. Und da ist noch Katharina, die 17jährige Schulabbrecherin, die von zu Hause abgehauen ist, weil Ihr Vater die Familie verlassen hat, Richtung Sibirien. Katharina und Erich lernen sich kennen, beide betrunkene Bäume, werden sie sich gegenseitig stützen können?
Angelika Mahr

Ada Dorian
„Betrunkene Bäume“

Roman
272 Seiten
Ullstein fünf
18,- Euro

Die Kunst des Erinnerns
In seinem Geschichtspanorama „Trutz“ schickt Christoph Hein zwei Familien auf Kollisionskurs mit den Ideologien des vergangenen Jahrhunderts. Dieser Roman über Erinnerung kann nur eine Tragödie sein, war dieses Jahrhundert doch eines, in dem Gedächtnisleistung politisch organisiert und sanktioniert war. Das jeweilige System bestimmte, wie Vergangenheit gespeichert und bewahrt wurde. Wer seine eigene Erinnerung damit nicht in Einklang bringen konnte, hatte ein gefährliches Problem. Ausgerechnet zwischen Hitler-Faschismus, Stalin-Terror und dem SED-Arbeiter- und Bauernstaat siedelt Christoph Hein die beiden Familien Trutz und Gejm an. Das Buch setzt ein mit Rainer Trutz, der den väterlichen Bauernhof in Mecklenburg verlässt und sich im turbulenten Berlin der Weimarer Zeit als Journalist durchzuschlagen versucht.
Angelika Mahr

Christoph Hein
„Trutz“

Roman
477 Seiten
Suhrkamp
25,- Euro

Zwischen den Buchseiten
Eigentlich hatte Ingrid ganz andere Pläne, wie ihr Leben verlaufen sollte. Sie wollte Literatur studieren, reisen, unabhängig und frei sein. Doch dann verliebt sie sich in den attraktiven und wesentlich älteren Literaturprofessor Gil Coleman. Die beiden werden ein Paar, kurze Zeit später ist Ingrid schwanger. Gil verliert seine Professur, er beschließt Schriftsteller zu werden und die beiden ziehen an die englische Südküste. Das Leben dort ist nicht leicht für Ingrid. Das Geld ist knapp, Gil untreu und oft ist sie mit ihren beiden Töchtern allein. Nachts, wenn sie nicht schlafen kann, schreibt sie Briefe an ihren Mann, die sie in den Büchern seiner Bibliothek versteckt. Eines Tages verschwindet sie spurlos. Viele Jahre später, nachdem Gil Coleman glaubt seine verschwundene Ehefrau in der Stadt gesehen zu haben, versuchen die beiden Töchter herauszufinden, was mit ihrer Mutter geschah. Die beiden ahnen nicht, dass die Antwort in den Büchern ihres Vaters zu finden ist. Berührend und mitreißend erzählt Claire Fuller die Geschichte einer Frau, die sich im falschen Leben gefangen glaubt.
Sandra Kohl-Blum

Claire Fuller
„Eine englische Ehe“

Roman
368 Seiten
Piper
22,- Euro

„Im Herzen wohnt das Gefühl, nicht die Vernunft.“
Tatarien in den 30er Jahren: Die junge Bäuerin Suleika lebt mit ihrem deutlich älteren Ehemann Murtasa und der fast 100jährigen Schwiegermutter zusammen. Die Ehe ist kinderlos, alle vier Töchter des Paares starben noch im Säuglingsalter. Im Land herrscht Umbruchstimmung, die sogenannten "Roten Horden" gehen um und sorgen für Angst und Schrecken. Die Bauern sollen allesamt enteignet und umgesiedelt werden. Weil Murtasa sich wehrt, wird er kurzerhand vom Rotarmisten Ignatov erschossen. Suleika wird, wie viele andere auch, nach Sibirien verschleppt. Auf der mehrmonatigen Reise merkt Suleika, daß sie wieder schwanger ist... Inspiriert von der Lebensgeschichte ihrer Großmutter ist Gusel Jalchina ein spannender, historischer Roman gelungen. Voll und ganz schließe ich mich der Autorin Ludmjla Ulitzkaja an, die in ihrem Vorwort zum Roman schreibt: " Dieser Roman besitzt die wichtigste Eigenschaft echter Literatur. Er trifft mitten ins Herz."
Sandra Kohl-Blum

Gusel Jachina
„Suleika öffnet die Augen“

Roman
541 Seiten
Aufbau-erlag
22,95 Euro

Natur vs. Kultur
Ein junges Paar aus Paris möchte gerne ein Sabbatjahr einlegen, Abenteuer und Freiheit erleben, bevor das Leben sie in ihren Bahnen als Finanzbeamtin und Eventmanager gefangen nimmt. Sie zögert zunächst, lässt sich jedoch überreden und sie kaufen eine kleine Yacht um für ein Jahr sich selbst und die Welt zu erfahren. Er steuert eine Insel zwischen Kap Hoorn und den Falklandinseln an, die unter Naturschutz steht. Die Gebirgswelt dieser Insel möchte er ihr, der Bergliebhaberin, gerne zu Füßen legen. Ein Sturm kommt auf und zwingt sie in der verlassenen Walfangstation zu übernachten. Am nächsten Morgen ist das Boot nicht mehr da... Aus einer Unannehmlichkeit wird schnell ein Kampf ums Überleben. Ein modernes Paar, auf sich gestellt und aufeinander angewiesen, bald taucht die Schuldfrage auf und Zweikämpfe, nicht nur verbaler Art, bleiben nicht aus. Ein Buch der Kontraste. Nicht nur spannend durch das robinsonale Abenteuer, auch aus psychologischer Sicht: Was macht die Liebe, wenn es um das nackte Überleben geht?
Angelika Dauter

Isabelle Autissier
„Herz auf Eis“

Roman
224 Seiten
mareverlag
22,- Euro

Die Macht des Mitgefühls
Dieser Roman beginnt mit einem Knall – genauer gesagt einer Explosion. In den frühen Morgenstunden geht das Haus der Familie Reid in Flammen auf. June Reid, zu diesem Zeitpunkt im Garten, ist die einzige Überlebende. Im Haus befanden sich all ihre Lieben – an diesem Tag sollte die Hochzeit ihrer Tochter Lolly stattfinden. Nach den Beisetzungen steigt sie in ihr Auto, vor Trauer ganz taub, und fährt und fährt und fährt. Schließlich mietet sie sich in einem abgelegenen Motel, praktisch am Ende der Welt, unter falschem Namen ein – niemand soll sie finden – sie will mit ihrem Schmerz allein sein. Währenddessen brodelt in der Kleinstadt, die sie hinter sich lässt, die Gerüchteküche und nach und nach erfahren wir, vielstimmig von den Einwohnern erzählt, welche Verstrickungen, welche unglücklichen Umstände, welche Entscheidungen zu der Katastrophe geführt haben. Aber wir erfahren auch, dass es Verbindungen gibt, die fast eine Familie sein können, dass es Hoffnung, sogar Zukunft geben kann - selbst wenn alles verloren scheint.
Anna Kalmbach

Bill Clegg
„Fast eine Familie“

Roman
320 Seiten
S. Fischer
22,- Euro

Des einen Wahrheit ist des anderen Lüge
Peter Katz, Literaturagent, erhält ein Manuskript, das ihn sofort in den Bann zieht. Richard Flynn, der Autor, erzählt von einem Kriminalfall, der über 20 Jahre zurückliegt. Der berühmte Professor Joseph Wieder wurde ermordet – erschlagen in seinem eigenen Haus. Flynn, damals noch Student, hat für den Professor gearbeitet; seine Privatbibliothek sortiert. Er erzählt in seinem Roman, wie er dank seiner Freundin zu diesem Job kam, von einem streng geheimen Forschungsprojekt des Professors, doch just als er zur Tatnacht kommt, (Cliffhanger!) endet das Manuskript. Katz versucht natürlich, den Autor zu erreichen, er hat Großes vor mit dem Roman. Als dieser nicht reagiert, beschließt er, Flynn einen Besuch abzustatten – und steht vor dessen frischgebackener Witwe – das Manuskript ist nirgends zu finden. Doch Katz hat Blut geleckt, und so engagiert er einen befreundeten Journalisten, in der Sache nachzuforschen – und der wird fündig… Er trifft auf Polizisten, Zeugen und auch genannte Freundin von damals – und alle erzählen sie ihm ihre eigene Version der Geschehnisse jener Nacht. Ein Thriller, der eben nicht vor Blut trieft, sondern psychologisch raffiniert komponiert ist. Für Leser von Donna Tartt und Joel Dicker absolut empfehlenswert.
Anna Kalmbach

E. O. Chirovici
„Das Buch der Spiegel“

Roman
384 Seiten
Goldmann
20,- Euro

Eine ungewöhnliche Beziehung…
Ende des 2. Weltkrieges in den Ardennen. Die Französin Emanuelle Pirotte erzählt uns in Anlehnung der Erlebnisse ihrer Großeltern die Geschichte von Renée. Das Mädchen Renée ist sechs oder sieben Jahre alt, genau weiß sie es selbst nicht. Sie ist Jüdin, so hat man ihr gesagt. Seit Jahren wird sie versteckt, bei Nonnen, bei Bauern und zuletzt beim Pfarrer. Der Pfarrer flieht mit dem Mädchen und übergibt es zwei amerikanischen Soldaten, da er das Kind dort in Sicherheit zu wissen meint. Die Soldaten sind in Wirklichkeit jedoch deutsche SS-Offiziere, als „Amis“ getarnt. Man glaubt nun zu wissen, dass Renée nicht mehr lange leben wird, aber der Roman nimmt eine erstaunliche Wendung. Der sonst so eiskalte deutsche SS-Soldat Matthias blickt in Renées dunkle Augen und verschont das Kind. Das Leben des Offiziers ändert sich radikal und eine ungewöhnliche Beziehung entsteht. Eine mitreißende Handlung, die einen das Buch nicht aus der Hand legen lässt, bis man es zu Ende gelesen hat.
Charlotte Schuh

Emmanuelle Pirotte
„Heute leben wir“

Roman
287 Seiten
S. Fischer Verlag
20,- Euro

Ein Himmel für Dreizehnjährige
Endlich mal ein Buch, das Eltern zusammen mit ihren pubertierender Kindern lesen können. Der Roman von Neil Smith spielt in einem Himmel, der ausschließlich 13jährigen vorbehalten ist. Ein außergewöhnlicher Schauplatz mit einer ebensolchen Handlung. Erst in dieser himmlischen Stadt der nicht alternden Teenager erfährt Oliver „Boo“, dass es nicht sein schwaches Herz, sondern eine Kugel war, die ihn ins Jenseits beförderte. Der Autor hat einen Roman über Freundschaft und Rache, aber auch ein Plädoyer für das Verzeihen geschrieben. Egal ob Erwachsener oder Jugendlicher, jeder der das Buch in die Hand nimmt, wird es verschlingen und nach der Lektüre manches anders sehen.
Thomas Mahr

Neil Smith
„Das Leben nach Boo“

Roman
416 Seiten
Suhrkamp Verlag
24,- Euro

Italien in den Sechziger Jahren
Gespannt wartete die Leserschaft auf den zweiten Teil von Elena Ferrantes Tetralogie über die beiden neapolitanischen Freundinnen Elena und Lila. In den 60er Jahren angekommen, scheinen die alten Verhältnisse in Italien aufzubrechen. Neapel wird aber noch lauter und schreiender. Lila ist mittlerweile verheiratet und merkt schnell, dass der, mit dem sie ihr Leben teilt, Mitglied der Mafia ist. Diese Organisation versteht es, sich den neuen Verhältnissen bestens anzupassen. Wie die damalige Zeit, so ist der Roman auch reich an Ereignissen, Hoffnungen die zerplatzen, Freundschaften die zerbrechen und einer gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung, die enttäuscht zu werden droht. Die beiden jungen Frauen versuchen sich mit dem Leben zu arrangieren und trotzdem ihre Freundschaft aufrecht zu erhalten, obwohl sie dabei wetteifern, sich gegenseitig auszustechen.
Thomas Mahr

Elena Ferrante
„Die Geschichte eines neuen Namens“

Zweiter Teil
Roman
624 Seiten
Suhrkamp Verlag
25,- Euro

Lebenskrisen
Julia und Jacob Bloch führen eine glückliche Ehe – könnte man meinen. Doch was geschieht mit einer Paarbeziehung, wenn die Vorstellungen, wie man leben möchte und wo man eigentlich steht, immer weiter auseinander driften. Drei Söhne großzuziehen, dem Vater – Holocaustüberlebender – klar zu machen, dass er ins Altersheim muss und das Gefühl, etwas zu verpassen, führen unvermeidlich zur Ehekrise. Alles läuft aus dem Ruder, als Julia merkt, dass sich Jacob sein sexuelles Glück scheinbar woanders sucht… Jonathan Safran Foer hat nach elf Jahren wieder einen großen Roman geschrieben, der mit seinen treffenden Dialogen ein wunderbares Drehbuch abgeben würde. Und niemand anders als Woody Allen könnte daraus einen großen Film auf die Leinwand bringen. Auf fast 700 Seiten brennt der Autor ein fulminantes Feuerwerk ab, das jüdisches Leben in den USA zwischen Tradition und Moderne auf eine Zerreißprobe stellt.
Thomas Mahr

Jonathan Safran Foer
„Hier bin ich“

Roman
688 Seiten
Kiepenheuer & Witsch Verlag
26,- Euro

Die großen Fragen
Der Roman wurde bereits 2012 in den Niederlanden veröffentlicht, also lange bevor Europa mit den großen Flüchtlingsströmen konfrontiert wurde. Auch der Titel, der sich fortsetzen lässt „Dies sind die Namen der Kinder Israel, die mit Jakob nach Ägypten kamen“ weißt auf eine etwas andere Intention des Autors hin. Pontus Beck ist Polizeikommissar in der fiktiven Stadt Michailopol, irgendwo im Osten Europas. Er hat einen sicheren Job, um sein Liebesleben muss er sich auch keine Gedanken machen, kümmert sich doch seine Haushälter einmal im Monat auch um diese Belange. Und doch fehlt ihm etwas. Als er mit dem Tod eines Rabbis zu tun hat, weckt dies Erinnerungen an ein Lied, dass ihm seine verstorbene Mutter immer vorgesungen hat. Er begibt sich auf Spurensuche. Parallel dazu erzählt Wieringa von einer Gruppe von Flüchtlingen. Dreizehn waren es zu Beginn, fünf sind noch übrig. Ihr Schlepper hat sie irgendwo östlich der Karpaten ausgesetzt, seit Wochen ziehen sie gen Westen, durch die Steppe, werden dabei immer schwächer. Wo wird ihre Reise enden?
Anna Kalmbach

Tommy Wieringa
„Dies sind die Namen“

Roman
272 Seiten
Hanser
22,- Euro

Auf dem Zauberberg
Familie Vandersanden lebt in einer feinen Villengegegend, genannt „Der Berg“. Hier läuft alles in geregelten Bahnen ab; das Personal weiß auf die Minute genau, wann es zu erscheinen hat, Besuch kündigt sich Wochen im Voraus an und selbst die Zeugen Jehovas wissen, zu welcher Stunde in der Woche sie klingeln dürfen. Mutter Mieke, aus reichem, ja, sehr reichem Hause, schwingt in ihrem Architekten-Traum das Zepter. Zur Entspannung kämmt sie die Teppichfransen ihrer heißgeliebten Perser. Vater Stefaan ist ein echter selfmade-man. Er stammt von einem Bauernhof, hat es aber durch Verstand und Engagement mittlerweile an die Spitze eines großen Pharmakonzerns gebracht. Er hat für jede Lebenssituation den passenden Bob-Dylan-Song parat. Vielleicht kommt daher Tochter Sarahs Leidenschaft für die Musik. Sie wächst behütet im Familien-Kokon auf. Eine Ahnung von der echten Welt bekommt sie, als Onkel Jempy, Miekes Bruder, vor der Tür steht. Er ist auf Freigang und hofft auf Hilfe seiner gutsituierten Schwester. Mieke liebt ihren Bruder wirklich sehr, doch hat der Playboy und Hallodri doch sicher einen schlechten Einfluss auf das Töchterchen und überhaupt, was sollen denn die Nachbarn denken??
Anna Kalmbach

Saskia de Coster
„Wir & Ich“

Roman
409 Seiten
Tropen
22,95 Euro

„Meine Frau ist tot und längst begraben.“
So beginnt die Lebensbeichte des 35-jährigen Willem Termeer. Schon von frühester Jugend an fühlt er sich von Vater und Mutter unverstanden und ungeliebt. Zudem bleibt er auch in der Schule immer ein Außenseiter. Alle seine Versuche, mit seinen Mitmenschen in Kontakt zu kommen, scheitern. Nach dem frühen Tod der Eltern ist er materiell abgesichert und er ist nicht gezwungen zu arbeiten. Er glaubt ein künstlerisches Talent in sich zu tragen - aber auch hier gelingt es ihm nicht, produktiv zu werden. So verwundert es nicht, dass auch seine romantischen Annäherungsversuche bei der Damenwelt nicht erhört werden. Es bleibt ihm nur der unbefriedigende Besuch des Freudenhauses. Doch plötzlich scheint sich sein Schicksal zum Guten zu wenden. In Anna, der Tochter seines Vormundes, glaubt er die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Doch schon bald merkt Willem, dass Anna nur unter die Haube kommen wollte, die Zuneigung war eher einseitig. Nach dem frühen Tod des gemeinsamen Kindes wendet sich Anna ganz von ihm ab und sucht Trost beim ortsansässigen Pastor. Willem flüchtet daraufhin in die Arme der kostspieligen Mätresse Carolien und es kommt zur Katastrophe. Um für Carolien frei zu sein verabreicht er Anna eine Überdosis Schlafmittel, wir sind am Ende des Romans und zugleich am Ausgangspunkt. Es bleibt offen, wie Carolien auf sein Geständnis reagieren wird...
Sandra Kohl-Blum

Marcellus Emants
„Ein nachgelassenes Bekenntnis“

Roman
320 Seiten
Manesse
26,95 Euro

Ein Käfig voller Narren
Völlig losgelöst von seiner verlegerischen Arbeit überrascht uns der ehemalige Chef des Hanser Verlages mit seiner Lust am Schreiben, seinem literarischen Können und seiner – zumindest bei seinem neuen Roman „Das Irrenhaus“ - bitterbösen Zunge. Man müsste sich doch glücklich schätzen als Archivar, schon dieser Beruf ein Auslaufmodell, mitten in München ein großes Mietshaus zu erben. Doch der Held von Krügers Roman begeht den Fehler, selbst inkognito dort einzuziehen. Der „Geist“ des Vormieters, ein verschollener Schriftsteller, zieht ihn ganz in seinen Bann, er scheint als dessen Kopie selbst bald zu verschwinden. Mehr noch sind es aber die restlichen Mieter, die ihn mit ihren Kapriolen aus der Bahn werfen und uns Lesern wie ein verrückt gewordenes Panoptikum anmuten. Michael Krüger hat aber nicht nur einen satirischen und absurden Roman geschrieben, er wechselt die Tonlage sehr schnell und wird zum Philosophen, zum Sinnsucher in einer geistlosen, verrückten Welt.
Thomas Mahr

Michael Krüger
„Das Irrenhaus“

Roman
192 Seiten
Haymon Verlag
19,90 Euro

Ein tragischer Familienroman - rückwärts erzählt
Lulu, die Besitzerin eines kleinen Strandhotels im äußersten Osten Mallorcas, ist schon über achtzig Jahre alt, als sie zufällig beim Einkaufen auf ihren ersten Ehemann Gerald trifft. Die beiden haben sich lange nicht mehr gesehen. Ihre Ehe liegt schon sechzig Jahre zurück. Lulus Hass ist aber noch genauso frisch wie damals. Sie begrüßt ihn mit den Worten: „Meine Güte, Gerald, du siehst ja total beschissen aus.“. Das Wiedersehen des einstigen Liebespaares endet mit einem Handgemenge und dem darauffolgenden Sturz von den Klippen von Cala Marsopa. Lulu und Gerald ertrinken im Meer. Die Kinder der beiden aus zweiter Ehe kehren daraufhin nach Mallorca zurück - und sie stellen sich immer wieder die Frage, was im Sommer 1948 passierte. Es beginnt eine tragische, doppelte Liebesgeschichte, die rückwärts erzählt wird.
Charlotte Schuh

Peter Nichols
„Die Sommer mit Lulu“

Roman
507 Seiten
Klett-Cotta
22,95 Euro

Das Ende naht
2031. Es ist gerade mal April und ganz Hamburg stöhnt bei 30°C - und unser supereffizienter, superresistenter Raps lässt alles gelb leuchten.
Auf den letzten Metern hat man nun doch den Frauen das Ruder überlassen – aber ob sie es noch herumreißen können?
Der Erzähler dieses Romans, Sebastian Bürger, war mal einer von den Guten: Feminist, Umweltaktivist, Vegetarier.
Doch nun, am Abgrund, hat er die Nase voll – es nutzt ja eh nichts mehr. Er wirft seine Moral über Bord und sperrt seine Frau, dieses egoistische Karriereweib, in den Keller.
Dort harrt sie nun seit mittlerweile zwei Jahren aus, backt Plätzchen oder erwartet ihren Gebieter in „Gebrauchshaltung“ - ganz wie es ihm beliebt.
Natürlich ist das harter Tobak; Dieser Roman polarisiert .Doch das Leben ist kein Ponyhof, oder, um mit einem Zitat aus diesem Roman zu enden „Wenn ich eine Prognose wagen darf: Es werden nicht die mit dem Fahrradhelm sein, die am längsten überleben.“
Anna Kalmbach

Karen Duve
„Macht“
Roman
416 Seiten
Galiani
21,99 Euro

Sumpfratten, Piratenschätze und der tiefe Süden
Vor fünf Jahren hat Wes Trench seine Mutter durch den Hurrikan Katrina verloren. Er unterstützt seinen Vater bei der schweren Arbeit auf dem Kutter, doch als es um Wes‘ Zukunft geht, geraten die beiden in einen heftigen Streit und er haut ab. Um durchzukommen heuert er bei dem alten Seebären Lindquist an. Der kann ihm zwar nicht viel zahlen, doch ihm tut der Junge leid. Lindquist ist in dem kleinen Fischerort nicht sonderlich beliebt. Seine Freizeit verbringt er damit, die Sümpfe mit einem Metalldetektor nach vergessenen Piratenschätzen abzusuchen – was er dabei findet, sind jedoch hauptsächlich die Besitztümer der Katrina-Opfer. Und auch den Gebrüdern Toup ist das Geschnüffel des Alten ein Dorn im Auge. Die beiden betreiben nämlich dort, in den Sümpfen, eine versteckte Marihuana-Plantage – und auch sonst allerlei krude Geschäfte… Hier wird das ganze Südstaaten-Städtchen Jeanette porträtiert, das Tom Cooper mit so viel Liebe, solch einer Empathie, lebendig werden lässt, dass man am Ende richtig traurig ist, nun nichts mehr von den liebgewonnenen Gestalten zu hören.
Anna Kalmbach

Tom Cooper
„Das zerstörte Leben des Wes Trench“
Roman
384 Seiten
Ullstein
22,-- Euro

Ein Jahrhundertpanorama
New York 2001. Ray und Elena lernen sich an einem denkwürdigen Tag kennen. Ray ist ein wenig erfolgreicher Künstler in New York, der nicht klein beigibt und an seinen Durchbruch glaubt, mit dem er die Sehnsüchte seines Großvaters erfüllen will; Elena eine Fischerstochter aus dem Donaudelta, die nach dem letzten Willen ihrer Mutter deren Asche nach Amerika bringt. Zwei Familiengeschichten, die uns von einer Wildnis in die andere führen. Vom rauen Großstadtdschungel New Yorks in die gleichermaßen raue Naturgewalt des Donaudeltas. Erzählend finden Ray und Elena zueinander. Florescu spannt dabei den Bogen zurück bis 1899, über Generationen, die für uns gedanklich gut fassbar sind. Packend und mit einem guten Schuss Humor nimmt er den Leser in dieses harte Jahrhundert mit, erzählt über Einsamkeit, Heimatsuche, Isolation, Entwurzelung und Fremde. Zu Hause und in der Ferne. Das Glück trotzdem nah, weil sich die Menschen so sehr für das Überleben entscheiden. Florescu schafft dabei einen Erzählsog in dem man gern länger verweilen würde ...
Sibylle Schleicher


Catalin Dorian Florescu
„Der Mann, der das Glück bringt“

Roman
327 Seiten
C. H. Beck
19,95 Euro

Rumänien literarisch entdecken
In dieser angenehm unkonventionellen Anthologie (gesammelt wird nach anarchistischem Prinzip, das die Leidenschaft für rumänische Literatur, abseits des international bekannten Kanons, dechiffriert) begegnen wir einem Gedenktafelschriftsteller, dem unvergesslichen Sommerkino in einer Synagoge, der Nachbarschaft des Viertels Km 4-5 in Constanţa, der dörflichen Berichterstattung eines Fußballspiels – mal zynisch, dann liebevoll, oder lakonisch-distanziert, oft poetisch erzählt. Erinnerungen aus dem Jetzt junger rumänischer Autoren treffen auf die zeitlosen Beobachtungen der Schriftsteller vergangener Jahrhunderte. Man wird nicht müde dieses sprachliche Kaleidoskop immer und immer wieder zu drehen: mit jeder Erzählung, die dieser Sammelband enthält, zeigt sich ein neues Muster, eine andere Facette von România.
Eva-Maria Mahr

Elsa Lüder
„Einladung nach Rumänien“

Erzählungen / Anthologie
356 Seiten
Noack & Block
19,80 Euro

Fataler Moment
Ein Sonntagnachmittag im Juni. Michael Turner betritt das Haus seiner Nachbarn, den Nelsons, nicht ahnend, dass sich ihrer aller Leben dadurch für immer ändern wird. - Schnitt – Doch wie ist er überhaupt in diese Nachbarschaft, diese Situation, geraten? Nach dem tragischen Tod seiner Frau, dessen Hintergründe sich nach und nach offenbaren, hält er es nicht mehr aus in ihrem gemeinsamen Haus in Wales und beschließt, sich wieder in den Großstadtdschungel Londons zu stürzen und sich so den Geistern der Vergangenheit zu entziehen. Schnell (zu schnell?) entwickelt sich eine tiefe Freundschaft mit der Familie Nelson. Sie versuchen ihren eigenbrötlerischen Nachbarn zurück ins Leben zu holen – gleichzeitig dient er ihnen als Ventil für ihre Ehekrise. Alles steuert auf jenen schicksalhaften Moment im Hause Nelson zu – spannend bis zur letzten Seite!
Anna Kalmbach

Owen Sheers
„I saw a man“

Roman
304 Seiten
DVA
19,99 Euro


Zwischen Recht und Moral
Eine Gerichtsverhandlung: Auf der Anklagebank Lars Koch, 31, Major der Luftwaffe; ihm wird 163facher Mord vorgeworfen. Was steckt dahinter? Ein Flugzeug wurde von Terroristen entführt, Ziel ein ausverkauftes Fußballstadion. Nachdem verschiedene Versuche, die Entführung gewaltlos zu beenden, nicht fruchteten, beschloss Lars Koch, entgegen ausdrücklicher Befehle, jedoch seinem Gewissen folgend, das Flugzeug abzuschießen, um Schlimmeres zu verhindern. Und nun stehen wir vor Gericht – und gleichzeitig vor einem moralischen Dilemma... Darf man Menschenleben gegeneinander aufrechnen? Sollte man „das kleinere Übel“ wählen? Wie viel Verantwortung halten zwei Schultern aus? Verteidigung und Staatsanwaltschaft kämpfen mit harten Bandagen, doch kann es in diesem Fall richtig und falsch, schwarz und weiß geben? Ein starkes Stück – im wahrsten Sinne des Wortes, und eines, das zu Diskussionen einlädt.
Anna Kalmbach

Ferdinand von Schirach
„Terror“

Theaterstück
176 Seiten
Piper
16,-- Euro

Gesellschaftsroman und Liebeskomödie
So viel leise schmunzeln und dann wieder lauthals lachen musste ich schon lange nicht mehr bei der Lektüre eines Romans. Der ZEIT-Redakteur Adam Sobocynski hat mit „Fabelhafte Eigenschaften“ eine Geschichte geschrieben, der zu einer gelungenen Persiflage unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft geworden ist. Man reist gerne in dem Roman, spricht über Kunst und Literatur, gibt sich gebildet und doch ist so viel nur leere Phrase und selbstgerechte Beweihräucherung. Dabei fühlt man sich als Leser ab und an ertappt und sieht sich vor dem eigenen Spiegelbild stehen. Ein gefeierter Künstler malt ausschließlich Tiere am Strand, seinetwegen verlässt eine Journalistin ihren Freund aus einer morsch gewordenen Beziehung. Dieser ist ein desillusionierter Architekt in mitleidiger Schaffenskrise. Auch das weitere Personal des Romans ist durchaus gebildet, doch genauso mit einer reichlichen Portion Eigensinn und Dünkel behaftet, die geradezu den satirischen Ehrgeiz des Autors herausfordert. Allen Figuren merkt man den starken Drang nach Selbstverwirklichung an, einer scheinbaren Freiheit, die zur Posse wird.
Thomas Mahr

Adam Soboczynski
„Fabelhafte Eigenschaften“

Roman
206 Seiten
Klett-Cotta
18,95 Euro

Grün ist die Hoffnung
Die wilden Siebziger. Slaney gelingt nach vier Jahren Haft die von langer Hand geplante Flucht aus dem Gefängnis. Was hat er verbrochen? Gemeinsam mit seinem besten Freund Hearn hat er sich beim Drogenhandel im großen Stil erwischen lassen. Zwei Tonnen Marihuana, mit einem Segelboot von Kolumbien nach Kanada geschmuggelt, damit hätten die Beiden schon mit Anfang Zwanzig fürs Leben ausgesorgt, doch aufmerksame Fischer ließen diesen Traum platzen. Slaney macht sich auf den Weg; zu seiner Freundin, die er vor vier Jahren im Stich gelassen hat und zu Hearn – schließlich muss das verlorene Geld wieder reingeholt werden – der nächste Coup ist schon geplant… Doch die Polizei ist ihm dicht auf den Fersen, ahnt sie doch schon von den Plänen der Beiden. Dem Helden dieser turbulenten Geschichte möchte man am liebsten einflüstern „Komm schon, hör‘ auf dein Herz – eigentlich bist du doch einer von den Guten!“ Ob’s hilft?
Anna Kalmbach

Lisa Moore
„Der leichteste Fehler“

Roman
368 Seiten
Hanser
21,90 Euro

Wenn einer eine Reise tut
Für einen Ethnologen sind Feldexkursionen natürlich das Größte! Und als Nigel Barley von indonesischen Kindern hört, die spitze Ohren genau wie Mr. Spock haben sollen, hält ihn nichts mehr im tristen England. Doch bereits bei der Reiseplanung tun sich erste Probleme auf. Kartenmaterial muss beschafft werden. Also begibt sich Barley in die Landkartenabteilung einer Buchhandlung, dort, wo seiner Meinung nach die wahren Exzentriker des Buchhandels zu finden sind. Keine leichte Aufgabe. Wohlgemerkt, das Buch stammt aus den 80ern… Jedenfalls macht sich unser Held nun trotzdem auf nach Indonesien. Er berichtet uns von abenteuerlichen Irrfahrten, wundersamen Begegnungen und davon, was es mit dem Kuschelbedürfnis der Indonesier auf sich hat. Zwar tut er dies gerne mit einem Augenzwinkern – dass er den Bewohnern dieses Landes der 17.000 Inseln absolut verfallen ist, merkt man diesem wunderbaren Bericht jedoch auf jeder Seite an.
Anna Kalmbach

Nigel Barley
„Auf den Spuren von Mr. Spock“

Reisebericht
284 Seiten
Klett-Cotta
17,95 Euro

Klopfendes Herz
Ein Anruf in den frühen Morgenstunden; Marianne wird ins Krankenhaus gerufen, ihr Sohn habe einen schweren Autounfall gehabt. Sofort eilt sie in die Notaufnahme. Was sie dort erfährt, zieht ihr den Boden unter den Füßen weg: Simons Gehirn wurde irreversibel geschädigt, ihm ist nicht mehr zu helfen. Was sie nicht ahnt, ist, dass im Hintergrund bereits eine Maschinerie im Gange ist mit dem Ziel, Simons Organe zu transplantieren. „Die Toten begraben, die Lebenden reparieren“ - dieses Zitat von Tschechow begleitet das Klinikpersonal. Sie müssen dafür sorgen, dass die vorgegebenen Abläufe eingehalten werden – und sich gleichzeitig um die Angehörigen kümmern. Eine Hauptfigur im eigentlichen Sinne gibt es in diesem Roman nicht – immer wieder wechselt die Perspektive, wird die Situation in einem anderen Blickwinkel betrachtet – das Zentrum ist Simons Herz; wir begleiten es als Leser 24 Stunden lang. Maylis de Kerangal trifft in ihrem Roman genau den richtigen Ton; sie schildert die Abläufe und Emotionen in dieser Situation glaubwürdig und ohne Effekthascherei. Sieben Auszeichnungen hat sie in Frankreich dafür erhalten – verdient.
Anna Kalmbach

Maylis de Kerangal
„Die Lebenden reparieren“

Roman
255 Seiten
Suhrkamp
19,95 Euro

Auf Schatzsuche
Die Geschichte der „Schatzinsel“ kannte früher praktisch jedes Kind. Dass auch die Lebensgeschichte Robert Louis Stevensons wahrlich Stoff für eine Roman-Biographie bietet, stellte der Schweizer Autor Alex Capus eindrucksvoll unter Beweis. Er begibt sich auf die Spuren des ewig kränkelnden Romanciers. In seiner Heimat Schottland lernt er die Amerikanerin Fanny kennen und lieben. Er folgt ihr an die Westküste der USA, doch Fanny, einige Jahre älter als Stevenson, ist noch verheiratet. Um keinen Skandal zu provozieren, darf sie sich nicht mit ihm sehen lassen, bis die Scheidung durch ist. Die Wartezeit vertreibt sich Stevenson in Hafenkneipen. Dort erfährt er wohl auch vom verschollenen Kirchenschatz von Lima – und spinnt daraus „Die Schatzinsel“. Einige Jahre später – das Paar, mittlerweile verheiratet, begibt sich auf eine ausgedehnte Südseereise – letzte Station ist Samoa. Welche Entdeckung macht Stevenson hier? Warum beschließt er, den Rest seines Lebens auf dieser Insel zu verbringen? Das Buch ist bereits vor 10 Jahren erschienen. Wie gut, dass es der Hanser Verlag jetzt in einer wunderschön edierten Ausgabe wieder neu aufgelegt hat.
Anna Kalmbach

Alex Capus
„Reisen im Licht der Sterne“

Roman
224 Seiten
Hanser Verlag
19,90 Euro

Unter Zypressen und Feigenbäumen
Mit den „Verglühten Schatten“ hat die in Karatschi geborene Wahlengländerin Kamila Shamsie gezeigt, mit welch großem erzählerischen Talent sie ausgestattet ist. Nun wurde mit „Die Straße der Geschichtenerzähler“ ihr neuer Roman ins Deutsche übersetzt. Wieder gelingt es Shamsie, ein historisches Thema mit dem Zauber des Orients und einer großartigen Liebesgeschichte zu verbinden. Eine junge englische Archäologin genießt ihre Freiheit, bei Ausgrabungen in Kleinasien mitwirken zu dürfen. Ein Leben jenseits der verstaubten Konventionen scheint auch Raum für eine unbeschwerte Liebesgeschichte zu bieten. Aber der Erste Weltkrieg steht dem im Wege. Die junge Engländerin wählt jedoch nicht den naheliegenden Weg nach Hause. Sie reist weiter nach Osten, um in den blühenden Gärten von Peschawar den Krieg hinter sich zu lassen. Doch die Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts werden sie einholen.
Thomas Mahr

Kamila Shamsie
„Die Straße der Geschichtenerzähler“
Roman
384 Seiten
Berlin Verlag
19,99 Euro

Eine neuseeländische Lebens- und Liebesgeschichte
Was für eine Freude, solch ein schön gestaltetes Buch in Händen zu halten. Ein wunderschönes Motiv auf dem Schutzumschlag, das auf dem Buchdeckel in Halbleinen wieder auftaucht. „Lucky Newman“ ist der dritte ins Deutsche übertragene Roman von dem neuseeländischen Autor Carl Nixon. Das Buch erzählt viel mehr als nur eine Liebesgeschichte - es beschreibt zwei Menschen, deren Schicksal durch den Ersten Weltkrieg zunächst eine leidvolle, zuletzt aber glückliche Wende genommen hat. Die Krankenschwester Elisabeth Whitman lebt in einfachen und beengten Verhältnissen. Ihr Mann ist im entfernten Europa an der Front vermisst. Sie versucht mit ihrem vierjährigen Sohn über die Runden zu kommen. Da erhält sie das Angebot, einen sehr wohlhabenden Mann zu pflegen, der mit einer Kopfverletzung aus dem Krieg heimkehrte. Die junge Frau hat eine Therapie, die aus Geschichten besteht, die die Seele heilen lassen.
Thomas Mahr

Carl Nixon
„Lucky Newman“

Roman
240 Seiten
Weidle Verlag
23,-- Euro

Schuld und Sühne
Als der Neurochirurg Etan Grien nach einer anstrengenden Schicht in der Klinik auf dem Heimweg beschließt, mit seinem Auto in der Wüste noch eine Runde zu drehen, geschieht ein folgenschwerer Unfall. Er überfährt einen Mann und als er aussteigt, um nach ihm zu sehen, stellt er fest, dass auch er als Arzt nichts mehr für ihn tun kann. Obwohl ihm vollkommen klar ist, dass dieser Unfall für ihn und seine Familie weitreichende Konsequenzen haben wird - er begeht Fahrerflucht. Am nächsten Morgen steht die Frau des Opfers vor seiner Haustür. In der Hand hält sie sein Portmonee – damit hat sie auch ihn in der Hand. Sie, eine geflohene Eritreerin, fordert von ihm als Entschädigung seinen medizinischen Einsatz in der Welt der Illegalen. In der Begegnung dieser beiden Welten lotet die Autorin die Grenze zwischen Gut und Böse, zwischen Schuld und Vergebung unerbittlich aus.
Angelika Mahr

Ayelet Gundar-Goshen
„Löwen wecken“
Roman
432 Seiten
Kein & Aber Verlag
22,90 Euro

Das Kloster in Wettenhausen - ein Ort der Einkehr Rechtzeitig zum 150jährigen Jubiläum der Dominikanerinnen des Klosters in Wettenhausen ist jetzt ein eindrucksvoller Bildband erschienen. Allein schon wegen der fotografischen und künstlerischen Qualität wäre er hervorzuheben. Dass das schöne Buch aber auf unsere Startseite kommt, hat auch andere Gründe. Die beiden Fotografen Verena Müller und Manfred Gaida wohnen in Langenau und haben durch mich das bayrische Kloster lieben gelernt. Als Buchhändler bin ich natürlich glücklich mit meinen Bildinterpretationen einen kleinen Teil zum Gelingen des Buches beigetragen zu haben. Bewegend und authentisch sind die Lebensgeschichten der Schwestern, deren Texte das Fotobuch bereichern. Das Kloster in Wettenhausen- wahrlich ein Ort der Einkehr- der aus der Zeit gefallen zu sein scheint und um seine Zukunft bangt. Sie können hier meine Rede zur Vernissage anlässlich der Ausstellung der Bilder im Schulmuseum Ichenhausen nachlesen.
Thomas Mahr

Verena Müller und Manfred Gaida
„Orte der Einkehr“

Fotobildband
144 Seiten mit 104 Fotos
Wasmuth Verlag
29,80 Euro

Eindringlich, schön und nicht aus der Hand zu legen
Also wenn das kein Heimatroman ist, der neue Roman „Ein ganzes Leben“ von Robert Seethaler. Heimatroman ja, aber darüber hinaus ein ergreifende literarische Kostbarkeit. Der Autor hat ein Gespür für Originale in besonderer Umgebung. Sei es die abgelegene Tankstelle, sei es das Kiosk oder eben wie im neuen Buch ein Bergdorf, es sind Orte, die sich geradezu für Antihelden eignen. Seethalers männliche Hauptfiguren sind Randgestalten, die versuchen in ihrer Welt zu Recht zu kommen. Aufgrund ihrer vermeintlichen Schwächen sind sie aber von Anfang an umso liebenswerter. Mit seinem Taglöhner und Seilbahnbauer Egger hat Seethaler jetzt eine ganze Lebensgeschichte aufgeschrieben. Ein Waisenkind, der kleine Egger, kommt aus der großen Stadt in ein Alpendorf zum Onkel. Dieser lässt kein gutes Haar an der Mutter und dem entsprechend wird der Bankert behandelt. Das Alpendorf verlässt der junge Mann nur, um als Soldat in den Zweiten Weltkrieg zu ziehen. Er findet eine Frau, seine Marie, die er aber auch recht bald tragisch wieder verliert. Genügsam, ein wenig naiv, aber immer ganz bei sich selbst erlebt Egger den Wandel seines Dorfes, als die Berge touristisch erschlossen werden.
Seethaler leiht sich zwar die Sprache und die Stilmittel des Heimatromans aus, vermeidet aber jeden Kitsch und jegliche Melodramatik. Ein Buch zum sofortigen Verzehr, hinreißend erzählt und ein wohltuendes Original der neuen deutschen Literatur.
Thomas Mahr

Robert Seethaler
„Ein ganzes Leben“

154 Seiten
Roman
Hanser Berlin
17,90 Euro

Schweigen ist Gold
Fast wie ein düsteres Märchen mutet die Lebensgeschichte von Karl Heidemann an. Bereits als kleiner Junge zieht er sich auf der Flucht vor der lauten, dröhnenden Welt in den Keller seines Elternhauses zurück. Nur dort ist ihm, der ein höchstsensibles Gehör hat, das Leben einigermaßen erträglich. Er ist dabei, als sich seine Mutter das Leben nimmt – und erfährt so die erlösende Stille des Todes. Dieses „Geschenk“ trägt er in die Welt hinaus; ihm auf der Spur Schubert, ein eigenbrötlerischer Kommissar. Bis er eines Tages auf die taubstumme Marie trifft – und die Liebe kennenlernt... Dieser Roman ist weniger ein klassischer Krimi, vielmehr erinnert er an „Schlafes Bruder“ oder „Das Parfum“ - eine literarische Seelenkunde eines Andersartigen.
Anna Kalmbach

Thomas Raab
„Still – Chronik eines Mörders
Roman
357 Seiten
Droemer Verlag
19,99 Euro

Das andere Småland
Småland in den 70ern. Klaas lebt mit seiner Familie auf einem abgelegenen Bauernhof. Für ihn ist es das Größte, durch die Natur zu streifen und Tag und Nacht Vögel zu beobachten. So entflieht er den bäuerlichen Pflichten, die ihm aufgezwungen werden; umso mehr, da sein Vater sich immer merkwürdiger verhält und schon Gerüchte über ihn im Ort kursieren. Hoffnung schöpft Klaas, als Veronika, ein Mädchen aus der Großstadt, in das verschlafene Dorf zieht und sich tatsächlich für ihn und seine Vögel zu interessieren scheint. Doch die Situation Zuhause mit dem irrlichternden Vater spitzt sich immer weiter zu… Ausgezeichnet mit dem „August-Preis“ als bestes schwedisches Buch des Jahres hat Bannerhed mit diesem Roman ein poetisches Meisterwerk geschaffen.
Anna Kalmbach

Tomas Bannerhed
„Die Raben“

Roman
448 Seiten
btb Verlag
21,99 Euro

Liebe auf den ersten Blick
Als Alfred Polgar 1927 in den Wiener Kammerspielen Marlene Dietrich zum ersten Mal sieht, ist diese noch ein Revuegirl und erst am Beginn ihrer Karriere. Und trotzdem entsteht damals zwischen dem Kritiker und dem zukünftigen Weltstar eine lebenslange Freundschaft. Fast 70 Jahre sollte es dauern, bis Polgars Würdigung der großen Diva auf gedrucktem Papier erscheint. Es ist mit 70 Seiten der längste Text, den der Feuilletonist und Meister der „kleinen Form“ je geschrieben hat. Es ist eine literarische Bewunderung der großen Schauspielerin, die ihrerseits den berühmten Literat in der Zeit der Emigration finanziell unterstützte. Ganz gegen seine Gewohnheit gerät der sonst so anspruchsvolle Kritiker ins Plaudern. Seine Hommage an Marlene, gedacht als Biografie, die nie vollendet wurde, ist vielleicht der schönste Text, der je über die Diva geschrieben wurde.
Thomas Mahr

Alfred Polgar
„Marlene“

Bild einer berühmten Zeitgenossin
160 Seiten
Zsolnay Verlag
17,90 Euro

On the Road
„Hätte, wäre, würde, wenn“: Durch diese vier Worte hat es Tanguy Viel geschafft, seine Leidenschaft für die großen amerikanischen Romane in ein kleines feines Buch zu verpacken. Der Autor, sonst Verfasser von (seiner Heimat geschuldeten) durch und durch französischen Romanen, erzählt die Geschichte eines amerikanischen Universitäts-Professors mit gebrochenem Herzen, der sich auf die Spuren des Musikers Jim Sullivan begibt. Dieser soll sich, der Legende nach, einst in der Wüste Arizonas einfach in Luft aufgelöst haben. Viel packt in seinen Roman alles, was die amerikanische Literatur traditionell zu bieten hat: verhängnisvolle Affären, Alkohol, Glücksspiel, 9/11, endlose Highways und dazu den passenden Soundtrack. Dabei beweist er sich als Erzähl-Künstler. Er lässt den Leser teilhaben an seinem Vergnügen, diese Geschichte zu schreiben und nimmt ihn mit auf eine Reise, auf der kein Auge trocken bleibt.
Anna Kalmbach

Tanguy Viel
„Das Verschwinden des Jim Sullivan“

128 Seiten
Roman
Wagenbach Verlag
16,90 Euro

Geschichte lässt sich nicht verdrängen
Sofi Oksanen, von „Der Zeit“ als „Finnlands dunkle Königin“ betitelt, ist der Star einer Literaturszene, die sich von Finnland, dem Land ihres Vaters, bis nach Estland, dem Land ihrer Mutter, erstreckt. „Die meisten im Westen wissen gar nichts über Estlands jüngste Vergangenheit und die Folgen des Zweiten Weltkriegs. Sie wissen auch nichts über die sowjetische Besatzung, was sie für die Menschen in den kleinen osteuropäischen Ländern bedeutete und was sie für Konsequenzen bis heute hat.“ Diese Zeit ist ihr Thema, von den Schicksalen dieser Menschen möchte sie berichten. In ihrem Roman „Als die Tauben verschwanden“, dem dritten in Deutschland erschienenen Buch, erzählt sie die Lebensgeschichten zweier Paare. Die Geschichte der Vier beginnt in Estland zur Zeit der deutschen Besatzung. Während Roland sich den Partisanen angeschlossen hat und sich in den Wäldern versteckt hält und seine Verlobte Rosalie den Hof versorgt, versucht sein Vetter Edgar sich bei den Besatzern lieb Kind zu machen und sich nach oben zu arbeiten – um jeden Preis. Seine Frau Judith, zu der er keinen Kontakt mehr hat, versucht, in Tallinn über die Runden zu kommen. Sie unterstützt ihren Schwager Roland im Untergrund, gerät dabei jedoch in ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel. Sprung in die 60er – dem zweiten Teil des Romans – Estland ist nun unter sowjetischer Besatzung. Trotz seiner Vergangenheit giert Edgar auch jetzt wieder nach Macht – und macht auf seinem Weg nach oben nicht einmal vor seiner eigenen Familie halt.
Anna Kalmbach

Sofi Oksanen
„Als die Tauben verschwanden“

432 Seiten
Roman
Roman Kiepenheuer & Witsch
19,99 Euro

Das Ende des amerikanischen Traums
Die USA sind am Boden. Durch verheerende Naturkatastrophen und eine kaputte Wirtschaft sind die Tage des Wohlstands gezählt. In den Städten verbreitet eine anarchistische Terrorgruppe Angst und Schrecken. Wer es sich leisten kann, flieht nach Südamerika oder versucht, zumindest einen Platz in einer der geschützten „Communities“ zu ergattern. Cal und Frida haben diese Möglichkeit nicht. Sie fliehen aus dem Großstadt-Moloch in die Wildnis und führen dort in der Abgeschiedenheit ein autarkes, beschauliches Leben. Als Frida bemerkt, dass sie schwanger ist, bekommt sie es jedoch mit der Angst zu tun. Das Paar begibt sich auf die Suche nach einer geheimen Kommune, die versteckt im Wald lebt. Doch welchen Preis sind sie bereit, dafür zu zahlen?
Anna Kalmbach

Edan Lepucki
„California“

Roman
416 Seiten
Blumenbar Verlag
20,-- Euro

Große Dramen schaffen große Prosa
Die Winterzeit ist die beste Gelegenheit, endlich wieder einen richtig dicken Roman zu lesen. „Ines und die Freunde“ von der spanischen Autorin Almundena Grandes ist so ein Schmöker, in den man eintaucht in eine andere Zeit, mitten in den Konflikt zwischen dem faschistischen Spanien und den Kommunisten, die die Diktatur Francos stürzen wollten. Der Roman liefert uns blutigen Bürgerkrieg, große Gefühle und schlimmen Verrat, verletzte Eitelkeiten und wie Seifenblasen zerplatzende revolutionäre Träume. Reichlich Stoff für große Prosa. Natürlich darf die große Liebe nicht fehlen. Ines, Tochter aus reichem Madrider Haus, rebelliert gegen die Eltern und damit gegen das Regime von Franco und verliebt sich in einen kommunistischen Führer, der da glaubte, mit 4000 Mann könne man gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auch Spaniens Faschismus aus dem Weg räumen.
Thomas Mahr

Almudena Grandes
„Inés und die Freude“

Roman
672 Seiten
Hanser Verlag
24,90 Euro

Vielleicht das schönste Buch des Jahres…
…Zumindest aber die glücklichste Verknüpfung, die man sich zwischen Kunst und Bilderbuch vorstellen kann: Alessandro Sannas Jahreszeitenblick auf einen Fluss. Ohne Worte erzählen die weichgezeichneten Aquarelle vom Jahreslauf. Als feine Silhouetten erkennt der Betrachter die Figuren, die sich am Ufer bewegen und ihre Geschichten erleben: die Überschwemmung im Herbst, die Geburt eines Kalbs im Winter, die Hochzeit im Frühling und den Ausbruch eines Tigers beim Jahrmarkt im Sommer. Die Bilder untereinander angeordnet wie in einem Fotoalbum laden geradezu ein, meditativ einzutauchen und selbst auf eine Phantasiereise zu gehen. Jeder wird gebannt sein von diesen Zeichnungen und selbst die Gedanken entlang des Flusses wandern lassen.
Thomas Mahr

Alessandro Sanna
„Der Fluss“

Kunst- und Bilderbuch
112 Seiten
Hammer Verlag
29,90 Euro

Lesen ist die beste Medizin
Was, Sie lesen noch nicht, würden es aber gerne tun, nur wie und was? Da haben wir das beste Mittelchen für Sie - greifen Sie zur Romantherapie: Von A wie Abschiede bis Z wie Zeh; oh weh (!) sich anstoßen – die Romantherapie hat für jede Lebenslage den passenden Buchtipp parat! So können Sie sich das Warten auf Weihnachten verkürzen oder sich bei einer Erkältung mit schönen Empfehlungen aus dieser Sammlung kurieren. Außerdem bietet das Buch auch Hilfe bei Leseleiden wie "Zeit zum Lesen; keine haben” oder "Überspringen von Seiten; die Neigung dazu haben”. Natürlich sind diese amüsanten Lesekuren auch für Leseprofis ein Vademekum. Der Inhalt Ihres Bücherregals bekommt plötzlich völlig neue Anwendungsmöglichkeiten.
Anna Kalmbach


Ella Berthoud, Susan Elderkin
„Die Romantherapie“

253 Bücher für ein besseres Leben
431 Seiten
Insel Verlag
10,-- Euro

Ausstieg in die Einsamkeit
Alle Zeichen stehen auf Neuanfang an einem sehr kalten, sehr frühen Morgen im Mai, im Schärengürtel zwischen Schweden und Finnland. Der neue Pastor Petter Kummel, seine Frau Mona und die gemeinsame Tochter Sanna werden von einem Empfangskomitee herzlich begrüßt, als sie am Steg der Pfarrinsel mit dem Boot anlegen. Was folgt, ist die Geschichte eines Pfarrers, der hochmotiviert seiner Berufung nachgeht. Er kommt den Inselbewohnern absolut unvoreingenommen entgegen, trägt sein Herz auf der Zunge und erobert die Gemeinde mit seiner offenen Art im Sturm. Auch, als sich abzeichnet, dass auf den Inselgruppen doch nicht alles so idyllisch ist, wie es anfangs schien, hält er unbeirrt an seiner Haltung fest. Seine pragmatische, rührige und bodenständige Frau hält ihm derweil den Rücken frei, kümmert sich um Haus, Hof und Kind und sorgt zwischendurch dafür, dass der Herr Pfarrer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird. Ganz irdische Probleme also auch für einen Mann mit himmlischem Auftrag…
Wiltrud Wolff

Ulla-Lena Lundberg
„Eis“

528 Seiten
Roman
mareverlag
24,-- Euro

Eine schwere Entscheidung
9. Juli 1961. Familie Chassaing. Suzanne, die Mutter, macht sich zurecht, trägt ein Kleid nach neuster Mode, putzt sich heraus. Das tut sie für ihren Sohn Henri, der in Algerien stationiert ist. Regelmäßig wird der Fotograf ins Bauernhaus bestellt; er dokumentiert den Einzug der Moderne auf dem Hof. Heute ist der große Tag – der erste Fernsehapparat im Dorf wird bei Familie Chassaing angeliefert. An diesem Tag möchte Suzanne ihren Sohn in der Ferne teilhaben lassen. Damit er weiß, wie sehr sie ihn vermisst und ihm bei seiner Rückkehr ein schönes Heim bieten wird. Die beiden verbindet viel, hatten sie während des Krieges doch nur sich. Der Vater, Albert, hat nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft seinen Platz in der Familie nicht mehr wiedergefunden. Daran vermochte auch die Geburt des zweiten Sohnes, Gilles, nichts zu ändern. Gilles, ein Büchernarr durch und durch, hat in der Schule Schwierigkeiten; seine Versetzung ist gefährdet. Albert gibt ihn deswegen unter die Fittiche des Nachbarn, einem pensionierten Lehrer. Dort weiß er seinen Sohn gut aufgehoben. Doch wohin gehört er, Albert? Er hat immer versucht, die besten Entscheidungen für seine Familie zu treffen; wie es mit ihm weitergehen soll, entscheidet er am Ende dieses Tages. Dieses Buch ist unsere literarische Entdeckung des Jahres, die man nicht nur lange im Kopf, sondern auch im Herzen mit sich trägt.
Anna Kalmbach

Jean-Luce Seigle
„Der Gedanke an das Glück und an das Ende“

224 Seiten
Roman
C.H. Beck
18,95 Euro

Eine Liebe in finsteren Zeiten
„Ich bin eine Hebamme vor Gottes Gnaden und schreibe diese Zeilen für dich, Johannes. Mir hat der Herr, der Allmächtige, in seiner Weisheit vor allen Menschen der Welt die Fähigkeit verliehen, den einen Leben zu schenken und es anderen zu nehmen. Beides habe ich in meinem Leben, das im Weltenbrand untergegangen ist, getan, abwechselnd Leben und Tod gegeben, und weiß nicht, ob der Verlauf meines Lebens durch das Trommeln in dieser Zeit oder dadurch bestimmt war, dass der Herr es letztlich so gewollt hat. Diese Fähigkeit ist mein Kreuz und meine Rettung, meine Bürde und meine Strafe und hat meinem Leben einen gewundenen Pfad weit fort von meinem Zuhause und von dir, mein Liebster, vorgegeben.“ Katja Kettu erzählt in ihrem Roman das Leben ihrer Großmutter, genannt Wildauge. Diese ist Hebamme in ihrem Heimatdorf Petsamo in Lappland, von den Dorfbewohnern misstrauisch beäugt, auch als Tochter eines „Roten“, der vor vielen Jahren verschwunden ist. Johannes begegnet sie zum ersten Mal 1944, als die Deutschen, zu diesem Zeitpunkt mit Finnland verbündet, in ihrem Dorf auftauchen. Sofort verliebt sie sich, die im Dorf trotz einer kurzen Ehe als alte Jungfer galt, Hals über Kopf in ihren Teutonen. Große Chancen rechnet sie sich allerdings nicht aus, denn die deutschen Soldaten werden sofort von den „Lottas“ umschwärmt. Als Johannes in ein Kriegsgefangenenlager abkommandiert wird, setzt sie alle Hebel in Bewegung, um ihm als Krankenschwester dorthin zu folgen. Dort angekommen wird ihr schnell klar, dass dort, in diesem Lager, Ungeheuerliches vorgeht und dass auch Johannes ein schreckliches Geheimnis mit sich trägt. Trotzdem hält sie weiterhin an ihrer Liebe zu ihm fest, auch, als ihre Situation im Lager sich dramatisch zuspitzt. Dieser Roman, der so viel mehr ist als eine tragische Liebesgeschichte, gehört zu dem Heftigsten, Bewegendsten, das ich je gelesen habe. Man liest diese Geschichte nicht nur, man taucht in sie ein, spürt sie geradezu, und das tut auch weh. Muss es auch, wenn man sich immer wieder vergegenwärtigt, dass dies die Geschichte einer Frau ist, die tatsächlich gelebt, geatmet und so verzweifelt geliebt hat. Es ist keine leichte Lektüre - dieses Buch hinterlässt Spuren.
Anna Kalmbach

Katia Kettu
„Wildauge“

416 Seiten
Roman
Galiani
19,99 Euro

Steinchen der Erinnerung ergeben ein Mosaik der Kindheit
Lange hat mich kein Buch mehr so herausgefordert in der Schatzkiste meiner eigenen Kindheitserinnerungen zu kramen, um Ähnliches zu entdecken wie Karl-Markus Gauß dies in seinem Buch „Das Erste, was ich sah“ getan hat. Die magische Stimme aus dem alten Kastenradio mit dem grünen, magischen Auge, die speckige, graue Lederhose mit dem rotkarierten Hemd und die nachmittäglichen Turnübungen auf der Teppichklopfstange im Garten, das sind alles Bilder, die auftauchen aus einer scheinbar längst vergangenen Welt. Wenn Gauß von seiner Kindheit erzählt gerät dies aber nie ins Nostalgische, einfach und klar, mit einer sprachlichen Sogwirkung  taucht vor uns Lesern ein Junge auf, der sich nach und nach die Welt erschließt. Da sind die donauschwäbischen,  aus der Batschka geflüchteten Eltern, der vergangene Krieg noch ganz nah und der Kalte Krieg längst Alltag in der Salzburger Vorortsiedlung. In diesem Milieu verbringt der Junge seine Kindheit und der erwachsene Gauß blickt mit seinem Buch in einen Spiegel, der mittels Sprache Vergangenheit auftauchen lässt.
Thomas Mahr

Karl-Markus Gauß
„Das Erste, was ich sah“

112 Seiten
Zsolnay Verlag
14,90 EUR

Den Tod selbst bestimmen
Was ist das für eine Nachricht, die die Tochter von ihrem Vater erhält. Er bittet sie, im Alter von 88 Jahren, nach einem schweren Schlaganfall und bitterer Diagnose, es ihm zu ermöglichen, selbstbestimmt aus dem Leben gehen zu können. Dabei hat er als Kunstsammler ein so vitales, lebensbejahendes Dasein geführt, die Liebe in allen Spielarten genossen und zur Pariser Boheme gezählt. Der Wunsch des Freitods führt die Familie in einen großen Gewissenskonflikt, da ja letztendlich die Angehörigen zurückbleiben und den Verlust des einst allgegenwärtigen Vaters zu verantworten haben. Emanuele Bernheim  hat aber nicht ausschließlich einen weiteren Bericht über aktive Sterbehilfe geschrieben, nein, ihr Buch feiert gleichzeitig ein Fest des Lebens. Mit großem literarischem Talent beschreibt sie die Geschichte ihrer Familie, über das Glück im Leben Erfüllung zu finden, das eben auch die Freiheit zu sterben einschließt.
Thomas Mahr

Emmanuele Bernheim
„Alles ist gutgegangen“

208 Seiten
Hanser Berlin
18,90 Euro

Camus und Tschechow in einem…
Was hat da der Hanser Verlag für einen großartigen russischen Exilautor für uns Leser neu entdeckt. War schon „Das Phantom des Alexander Wolf“ ein literarisches Juwel, so ist das jetzt übersetzte Erstlingswerk erst recht ein Stück Weltliteratur. Nach Jahren findet Kolja im Pariser Exil seine angebetete Claire am Krankenbett wieder. Drei Jahre ist sie, die Angebetete, älter, als sich der junge Mann im vorrevolutionären Russland 1917 in Sankt Petersburg unsterblich verliebt. Jetzt, Jahre später, wacht er über den Schlaf seiner Geliebten und träumt sich fiebrig in die Vergangenheit zurück. Soldat wurde er, auf Seiten der Regierungstreuen, erlebt in diesem grausamen Bürgerkrieg Niederlage um Niederlage und erkennt auf der Krim, dass ihm nur noch Flucht und unweigerlich das Exil bleibt. Unmöglich in wenigen Sätzen dieses 1930 zum ersten Mal erschienene Buch zu beschreiben, man muss es einfach lesen.
Thomas Mahr

Gaito Gasdanow
„Ein Abend bei Claire“

Roman
Übersetzung Rosemarie Tietze
192 Seiten
Hanser
17,90 Euro

Ein Hundert-Euro-Schein auf Reisen
Gleich vorneweg: Dieses wunderbare Buch muss gerettet werden. Gäbe es einen Negativpreis für hässliche Buchumschläge, Wolf Wondratscheks Roman „Mittwoch“ wäre ganz vorne dabei. Grau in Grau mit einer undefinierbaren Glaskugel, schwerer kann man es dem Käufer in unserer visuellen Zeit kaum machen. Dabei ist diese Reise eines Geldscheins alles andere als grau. Ein platonisch liebender Boxer, ein geheimnisvoller Antiquitätenhändler oder eine Geigenspielerin, alles Figuren, die den Film aus Episoden zu einem kleinen Meisterwerk der Prosa machen. Nicht zu vergessen, die Herren im rauchfreien Tabakladen, die über Rauchverbote schwadronieren und dabei auf die gute alte Zeit zurückblicken.
Wondratschek wechselt mit den Milieus die Sprache wie ein Jongleur, der nicht lauter gleiche Bälle wirft, sondern mit Diversem seine Kunststücke vollführt. Philosophisches Bonmot wechselt mit Profanem, fast wie im richtigen Leben; ein Wechselspiel der Befindlichkeiten. Wir begleiten die Figuren des Romans ein kurzes Stück auf ihrer Wegstrecke und bekommen doch gleichzeitig ein Bild unserer Gesellschaft kredenzt. Vergessen Sie alles was vor diesem Roman so über diesen Autor geschrieben wurde. Rechtzeitig zu seinem siebten Lebensjahrzehnt kann man einen völlig neuen Wolf Wondratschek entdecken.
Thomas Mahr

Wolf Wondratschek
„Mittwoch“

244 Seiten
Roman
Jung und Jung Verlag
22,-- Euro

Man trifft sich dreimal im Leben
Ein Buch, ein köstliches Lesemenü in drei Gängen, ein selten schönes Plädoyer für die Liebe ist Perez Reverte mit seinem neuen Roman gelungen. Was steckt in diesem Roman nicht alles drin. Die Begegnung des jungen Tänzer und der jungen und schönen weiblichen Begleitung eines Komponisten auf einem Ozeandampfer, der Beginn einer großen Liebe, dann Buenos Aires mitten in den zwanziger Jahren, mit seinen zwielichtigen  Kneipen und der Hochzeit des Tangos. Jahre später treffen sich die beiden wieder an der Cote d’Azur, allen Widrigkeiten des Zeit zum Trotz erwacht die Liebe der Beiden neu. Wieder werden sie getrennt und die südliche Sonne Italiens wird der dritte Ort dieser unsterblichen Liebe…  Damit nicht genug. Der Roman ist auch ein Ausdruck der Wehmut. Die Welt heute ist klein geworden und hat ihren Glanz verloren. Perez- Reverte entführt uns mit seinem Buch in eine Welt, die noch nicht entzaubert war und bei allem Schrecken der Zeit immer auch einen Triumph des Lebens widerspiegelt.
Thomas Mahr

Arturo Pérez-Reverte
„Dreimal im Leben“

523 Seiten
Roman
Insel Verlag
22,95 Euro

Vergessenes Kleinod
Ist das schon ein Vorbote auf den finnischen Bücherherbst, da sich das nördliche Land in diesem Jahr als Gast auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert? Der Osburg Verlag bewies jedenfalls ein glückliches Händchen mit der Neuübersetzung des bereits 1971 auf schwedisch erschienenen, kleinen Romans „Leo Nilheims Geschichte“ von Leo Agren. Der Autor entstammt der schwedischen Minderheit in Finnland und verstarb bereits 1984 mit gerade mal 56 Jahren. Er wurde bereits zu Lebzeiten vergessen, obwohl sein eigenes, aufregendes Leben genug Stoff für einen Roman gäbe. Er war ein Opfer seiner Heimatlosigkeit und der Psychopharmaka, mit denen er seine Depressionen bekämpfte. Zu Zeiten des Vietnamkrieges kam dieses Buch als Antikriegsroman von einer völlig unerwarteten Seite. Der Protagonist Leo Nilheim erzählt seine bewegende Lebensgeschichte im Roman, wie er im zweiten finnisch-sowjetischen Krieg als junger russischer Soldat in Kriegsgefangenschaft gerät und dort bei Bauern den verstorbenen Sohn ersetzt. Agren schreibt so dicht und doch gleichzeitig ergreifend diese tragikomische Lebensgeschichte, dass das Buch zu einen kleinen Stück Weltliteratur wurde. Doch lesen sie selbst diese kleine Kostprobe des Romans: „Ich erwachte sehr früh. Es war noch immer ganz still im Haus. Ein weißer Morgennebel schwebte draußen auf dem Feld. Die Uhr in der Ecke tickte weiter vor sich hin. Durch die unbequeme Schlafhaltung taten mir alle Knochen weh. Ich streckte mich und trat ans Fenster. Eine Spinne hing vor der Scheibe und schaukelte leicht im Luftzug. Du bist Leo, sagte ich zu mir selbst. Du bist Leo Danowitsch Nilheim. Du heißt Nilheim. Das ist am sichersten für dich, und die Weltpolitik ist im Übrigen nicht deine Sache. Du musst an dein eigenes Leben denken, das reicht für dich. Aber genauso denken doch alle. Und deshalb läuft alles so, wie es läuft. Weil alle nur an sich selbst denken. Jedenfalls heiße ich Leo Nilheim, bin bald zweiundzwanzig Jahre alt und will leben. … Ich stand lange da an diesem Sommermorgen, sah, wie die Sonne immer höher stieg, wie der Nebel auf den Wiesen verblasste.“
Thomas Mahr

Leo Agren
„Leo Nilsheim Geschichte“

160 Seiten
Roman
Osburg Verlag
17,99 Euro

Fluchtpunkt Sommerfrische
Da soll nicht noch einmal einer sagen, wir unabhängigen Buchhändler hätten keine Macht. Die Begeisterung der Kollegen hat sich übertragen auf die Leser, längst bevor die Medien auf dieses literarische Kleinod „Ostende“ von Volker Weidermann aufmerksam wurden. Das erstaunt umso mehr, als dieser schmale Band alles andere als dem Zeitgeist oder irgendwelcher literarischer Moden entspricht. Der Erzähler reist mit dem Leser nicht nur an jenes belgische Seebad, er unternimmt auch eine Zeitreise zurück in das Jahr 1936, als Stefan Zweig mit seiner Geliebten Lotte einen letzten Sommer zu feiern scheint. Die Freunde der guten Tage sind alle versammelt, so dass sich die Geschichte  wie das Who's Who der deutschen Exilliteratur lesen lässt. Alle sind sie geflohen aus dem Land der Bücherverbrennung, sie spüren wie Europa auf einen neuen Krieg zusteuert. Da ist der schon vom Alkohol gezeichnete Joseph Roth, der noch einmal eine Liebe erleben darf mit der viel jüngeren Irmgard Keun, der rasende Reporter Egon Erwin Kisch, Ernst Toller, Arthur Köstler und Hermann Kesten, alle teilen sie den Verlust der Heimat und mehr noch -sie haben ihre Leserschaft verloren. Weidermann gelingt es mit seinem Buch wirklich ein belletristisches Meisterstück Literaturgeschichte so zu erzählen, dass man begeistert zum Bücherschrank greift und die Schachnovelle und den Radetzkymarsch aus dem Regal zieht.
Thomas Mahr

Volker Weidermann
„Ostende“

1936, Sommer einer Freundschaft
160 Seiten
Kiepenheuer & Witsch Verlag
17,99 Euro

Tür in die Vergangenheit
In einem heruntergekommenen Hotel an der niederländischen Küste treffen sich Ferdy Aronius, seine Mutter Alice und ihr Ex-Geliebter Mees Stork. Hier begehen die drei übriggebliebenen Kolonialisten den Jahrestag der Bombardierung Hiroshimas und feiern ihre Befreiung aus der japanischen Gefangenschaft. Gemeinsam schwelgen sie in Erinnerungen an „ihr Batavia“: die rauschenden Feste, Alice‘ heimliche Treffen mit Mees Stork, wann immer sich die Gelegenheit ergab. Und auch Ferdy erinnert sich mit Wehmut an seine behütete Kindheit in der Kolonie. Doch nicht nur draußen tobt in dieser Nacht ein Sturm, auch im Hotel rütteln vermeintlich weggesperrte Ereignisse an den verklärten Erinnerungen der Protagonisten. Eric Schneider, selbst im indonesischen Batavia geboren, erzählt in diesem Kammerspiel auf berührende Weise von den Erinnerungen einer Familie an ein tropisches Paradies – doch gleichzeitig von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und seinen Auswirkungen aus einer für uns, als deutsche Leser, unbekannten Perspektive.
Anna Kalmbach

Eric Schneider
„Zurück nach Java“

Roman
110 Seiten
Insel Verlag
16,95 Euro